Herwig Turk
LINESCAPE
Die Projekte des österreichischen Künstlers Herwig Turk (*1964) entwickeln sich im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Wissenschaft. Oftmals in Zusammenarbeit mit Natur-wissenschaftlerInnen und MedizinerInnen arbeitet er an interdisziplinären Forschungsprojekten zum Thema Wahrnehmung und versucht die traditionellen Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft zu überschreiten und künstlerische Verfahren und Herangehensweisen zur Entwicklung neuer Methodiken und Sichtweisen fruchtbar zu machen.
In seiner speziell für die Georg Kargl BOX entwickelten Installation Linescape widmet sich Herwig Turk einer Neubewertung der Entwicklungsgeschichte einer der radikalsten künstlerischen Konzepte der 60iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: der amerikanischen Land Art. Im Unterschied zum Minimalismus, der um Objektivität bemüht war und hauptsächlich im Kontext der Galerien und Museen zu finden war, wurde die Land Art als eine romantische, aber eine explizit gesellschaftskritische künstlerische Bewegung gesehen. Man wollte einem konsumorientierten Bildungsbürgertum, das Werke der bildenden Kunst zunehmend als Spekulationsobjekte betrachtete, keine verschiebbaren Waren liefern, sondern Werke schaffen, die weder käuflich und transportabel waren noch in ein Kunstmarktsystem eingeschleust werden konnten. Die Landschaft wurde nicht als attraktive Folie genutzt vor der Skulpturen platziert werden, die Landschaft selbst wurde zum Kunstwerk. Gefragt waren die großen Gesten. Mit schwerer Gerätschaft wurden radikale Eingriffe in die Landschaft vorgenommen und großflächige Anlagen von dauerhafter Form errichtet, deren Entwicklung und endgültige Umsetzung oft Jahrzehnte, manche bis zum heutigen Tag andauern. So baut James Turell seit 1974 in Arizona an seinem Roden Crater in einem seit 400.000 Jahren erloschenen Vulkan, Charles Ross errichtet seit 1971 in New Mexico seine Star Axis. Michael Heizer konnte 1970 sein beeindruckendes Werk Double Negative, zwei 15 Meter tiefe und 450 Meter lange exakte Einschnitte in der Hochebene Mormon Mesa bei Las Vegas abschließen. Zu einem der bekanntesten Werke der amerikanischen Land Art zählt Robert Smithsons Spiral Jetty im großen Salzsee von Utah, einer rund 500 Meter langen Spirale aus Steinen, Algen und Salz, die 1970 fertig gestellt werden konnte und bis heute - wenngleich durch Erosion verwittert - sichtbar ist.
Bis heute werden die Werke der Land Art Künstler in der Kunstgeschichte zwar als gesellschaftskritisch gesehen, als künstlerische Äußerungen einer männerdominierten Gruppe, die sowohl von der weitläufigen amerikanischen Landschaft als sicherlich auch von der Aufbruchsstimmung einer Siegernation nach dem 2. Weltkrieg mit seinem überhöhten Selbstbewusstsein inspiriert war. Meist wird jedoch nicht auf die Parallelen der Herangehensweise und Verwendungen der amerikanischen Wüstenlandschaft durch das amerikanischen Militär und der Land Art Künstler hingewiesen. Auf diesen vernachlässigten, wenngleich auch durchaus nachvollziehbaren Aspekt der Geschichte will Herwig Turk in seiner Installation am Beispiel von Robert Smithons Spiral Jetty aufmerksam machen und diesen zur Diskussion stellen. Zwei wie Schulrolltafeln gestaltete Fotografien setzen sich über Eck gehängt zu einer 360 Grad Panoramaansicht der Spiral Jetty zusammen.
Darüber schweben fünf Siebdrucksiebe mit Motiven von Zieleinrichtungen der US Army in den Sperrgebieten UTTR, die sich in örtlicher Nähe zum Salzsee in Utah befinden. In einer eleganten Vitrine werden zudem drei Life Magazine aus den Jahren zwischen 1945 und 1952 präsentiert, die eindrucksvoll belegen, in wieweit die zunächst geheimen Atombombenversuche Eingang in die amerikanische Populärkultur gefunden haben, um damit die militärische Stärke und Überlegenheit der amerikanischen Supermacht in der Zeit des Kalten Krieges massenmedial zu verbreiten. Die Wüste wurde gleichsam als Atomlabor stilisiert. Die amerikanischen Land Art Künstler verwendeten also keineswegs “unangetastete” Urlandschaften als ihre identitätsstiftenden Bühnen, vielmehr waren diese im Zuge der Atomwaffentests schon längst in den Massenmedien zur “Atomic Desert” mutiert. Herwig Turks Installation kann als Reflexion der in Massemedien verbreiteten Berichterstattung gelesen werden, die von immenser politischer, ökonomischer und ökologischer Bedeutung waren. Darüber macht Turk deutlich, dass selbst wissenschaftliche Geschichtsschreibung nach subjektiven, ideologischen Richtlinien interpretiert wird, stetigen Veränderungen unterworfen ist und sich stets neu konstruiert.
Text: Fiona Liewehr
Herwig Turk lebt und arbeitet in Wien und Lissabon.
Seine Projekte kreieren Berührungspunkte im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Wissenschaft. Von 2010 bis 2013 war er „Artist in Residence“ am IMM (Instituto da Medicina Molecular), Lissabon. Von 2003 bis 2009 arbeitet Turk mit Paulo Pereira, dem Leiter der ophthal- mologischen Abteilung von IBILI (Institute for Biomediacal Imaging and Life Sciences, Coimbra), zusammen.
In den letzten Jahren wurden seine Arbeiten unter anderem im MAK Museum für angewandte Kunst, Wien, im Seoul Museum of Art, Seoul, im Neues Museum Weserburg, Bremen, im TESLA Labor für Medienkunst, in der Galerie Georg Kargl, Wien und bei der Trans- mediale, Berlin, gezeigt. Derzeit arbeitet Herwig Turk an einer monografischen Ausstellung für das MMKK (Museum Moderner Kunst Kärnten).
Seit 2014 unterrichtet er als Senior Artist in der Abteilung Social Design an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
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