Unfolded Matters - Nature as Culture and Culture as Nature
Olivia Coeln I Mark Dion I Marcel van Eeden I Peter Fend I Jennifer Gelardo I Barbara Hainz I Jitka Hanzlová I Sanna Kannisto I David Maljkovic I Agnieszka Polska I Robert Smithson I Hannes Zebedin
Da, wo alle Dinge menschlich sind, ist das Menschliche ein ganz anderes Ding.
Eduardo Viveiros de Castro
„I don’t want your hope. I don’t want you to be hopeful. I want you to panic. I want you to feel the fear I feel every day. And then I want you to act.“, sagt die Klima-Aktivistin Greta Thunberg in Davos, Januar 2019 in einem Interview für die Zeitung The Guardian[1]. Die Berufung des 16-jährigen Mädchens geht der kanonischen Idee der Kindheit oder Jugendlichkeit als Instanz der Hoffnung entgegen. Die strenge Forderung auf dringende Aktion schiebt die klassische Frage „Was tun?“ in die Kategorie des Vergangenen, des Obsoleten. Die Zeit für die Diskussion über „Was gemacht werden sollte“ ist abgelaufen. Wir Menschen haben alleine schon zu viel getan, während wir ignoriert haben, dass andere Subjekte auch die Kapazität des Agierens haben und dass sie auch agieren, während wir „gegen-agieren“.
Der erste körperliche Effekt von Panik ist Lähmung; Nicht-Agieren wäre dann die Vorbedingung des Agierens, um zu hören, welche Aktionen andere Agenten uns vorzuschlagen haben. Mit-Denken als Bedingung für ein Mit-Werden — aber wie, wenn unser epistemologisches Verständnis seit dem 18. Jahrhundert die Natur von der Kultur trennt und dadurch die Einbildungskraft eines gemeinsamen Denkens und Werdens (im Vorhinein) blockiert? Und schon wieder geraten wir in die Sackgasse der rhetorisch –und nicht-konstruktiven Diskussion über das „wie“.
Die Ausstellung Unfolded Matters – Nature as Culture, Culture as Nature, greift auf diese klassische Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zurück und stellt sie einer anderen Epistemologie entgegen, um Fragen der künstlerischen Annährung zu beiden Begriffen zu erörtern. Der westlichen Idee des „menschlichen Exzeptionalismus[2]— welche die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur durch eigene Termini definiert — wird ein anderes, nicht-westliches Konzept von Natur und Kultur gegenübergestellt: jenes, des amerindianischen Perspektivismus, welcher, durch die Annahme des Personifizierens von allem Seienden, zur Auflösung dieser Unterscheidung tendiert.
Die Konsequenz dieser Umkehrung ist die artübergreifende Ausdehnung des Attributs „Menschlichkeit“, wobei die Differenz zwischen Mensch und Nicht-Mensch in jeder Art von Seienden zu finden ist.[3]
Diese symmetrische Konfrontation der westlichen und nichtwestlichenWeltbilder ist das Spannungsfeld, in dem sich die Ausstellung Unfolded Mattersentfaltet. Diese Konfrontation bildet den Ausgangspunkt für eine non-lineare Verhandlung der vielfältigen künstlerischen Positionierungen und das Beleuchten der Durchlässigkeit der Grenze zwischen Differenz und Ähnlichkeit und das changierende Vibrieren der „variablen Ontologien“[4]von Kunstwerken.
Es gibt keine Kultur außerhalb der Natur und kein Kunstwerk außerhalb der Kultur. Dieser Zirkelschluss impliziert wiederum die kreative Potentialität der Natur und definiert das Kunstwerk als eine lebende Entität. Eine Entität, die, wie alle lebendig oder nicht-lebendigen Wesen im Perspektivismus, das Attribut der „Menschlichkeit“ beinhaltet.
Wie lassen sich westliche Kunstwerke nicht nur aus der westlichen Perspektive, sondern auch von einem anderen Standpunkt aus betrachten? Und welche Implikationen bringt dieser perspektivische Wechsel bei dem Dialog zwischen BetrachterInnen und Kunst?
Unfolded Mattersgibt Anstoß zum Experimentieren mit variablen Ontologien, die uns zu anderen Arten des Denkens führen könnten: ein mit-Denken, das sich von der epistemologischen Objektivierung von Kunstwerken distanziert und, anhand der Anerkennung von ontologischer Variabilität, zu einer reziproken Subjektivierung beim Dialog mit den Kunstwerken tendiert
[1]Verfügbar in: https://www.theguardian.com/environment/2019/jan/25/our-house-is-on-fire-greta-thunberg16-urges-leaders-to-act-on-climate. Zugriff am 20.06.2019.
[2]Der Ausdruck “menschliche Exzeptionalismus” ist von Donna Haraway ausgeliehen. Donna J. Haraway, Unruhig bleiben, Die Verwandschaft der Arten im Chthuluzän, Übers. Karin Harrasser, Campus verlag Frankfurt/New York, 2018, S. 24.
[3]Eduardo Viveiros de Castro, Kannibalische Metaphysiken, Elemente einer post-strukturalen Anthropologie, Übers. Theresa Mentrup, Merve Verlag Leipizig, 2019, S. 64.
[4]Eduardo Viveiros de Castro, eben da, S. 70.
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