Liddy Scheffknecht
points in time
Zeit ist ein seltsames Konstrukt. In der subjektiven Wahrnehmung gibt sie sich unberechenbar. Mal zerrinnt sie einem wie feiner Sand zwischen den Fingern, dann wieder wirkt es, als würde die Zeit stecken bleiben, stillstehen. Die Vorstellung von einer „absoluten, wahren und mathematischen Zeit”, wie sie Isaac Newton Ende des 17. Jahrhunderts formulierte, einer Zeit, „die an sich und ihrer Natur nach gleichmäßig, ohne Beziehung auf äußere Gegenstände“ fließe, erscheint einem wie Hohn, wenn die Sekunden, die Minuten, die Stunden, die Tage nicht vergehen mögen – einfach weil nichts passiert, an das es sich zu erinnern lohnte.
Um Zeit messen, um sie überhaupt wahrnehmen zu können, braucht es etwas, das sich verändert, etwas, das sich bewegt, kontinuierlich am besten, stetig wie der Zeiger auf dem Ziffernblatt. Oder – wie die Sonne von der sie umkreisenden Erde aus betrachtet.
Letztere hat Liddy Scheffknecht (*1980 in Dornbirn) zu ihrer Komplizin gemacht. Sie spannt sie für sich ein, erkundet mit ihrer Hilfe Möglichkeiten, den Lauf der Dinge, Zeitlichkeit als solche zu visualisieren. Formal betrachtet zeigt die Künstlerin in ihrer aktuellen Ausstellung in der Georg Kargl Box neue Arbeiten auf Papier und frühere Skulpturen aus Glas. Gemein ist allen, dass sie in ihnen – quasifotografisch – Momente festzuhalten versucht, „points in time“, wie auch der Titel der Ausstellung lautet. Scheffknecht isoliert Augenblicke, verwandelt flüchtige Zustände in statische Bilder.
Bei „now“ (2018) sowie „9 to 5“ (2018) handelt es sich um Wachskreidezeichnungen für deren Anfertigung die Künstlerin eine bemerkenswerte Methode anwendete: Sie brachte Papierbögen auf dem Fenster an, auf denen sie zuvor die Wörter „now“, „9 am“ beziehungsweise „5 pm“ ausgeschnitten hatte. Je nach Sonnenstand fiel das Licht durch diese Lücken in unterschiedlichen Winkeln auf Scheffknechts Zeichengrund, ein mit schwarzer Wachskreide überzogenes Papier. Im Falle von „now“ kratzte die Künstlerin während eines Tages im Abstand von je zehn Minuten die Umrisse dieser Lichtprojektion in die Wachskreidenoberfläche, sodass sich eine Linienzeichnung sich überlagernder Buchstaben ergab. Bei „9 to 5“ ging sie gleichermaßen akribisch vor, hielt über eine Periode im Sommer hinweg jeden Morgen zur entsprechenden Uhrzeit das „9 am“, jeden Nachmittag das „5 pm“ auf dem Papier fest. Interessanterweise erinnern die weißen Zeichnungen auf schwarzem Grund bei flüchtiger Betrachtung an Sternbilder äonenalter Himmelskörper. Auf diese Weise scheinen in den Arbeiten Vorstellungen von Vergänglichkeit mit solchen von Unendlichkeit zu verschmelzen.
Entziffern lassen sich die Begriffe jeweils nur bei genauem Hinsehen, was deren Bedeutung in den Fokus rückt: „Jetzt“ als Inbegriff des Moments, der schon vergangen ist, wenn man sich seiner bewusst wird; „9 to 5“ als Grundsatz des traditionellen Werktags, der in der schönen neuen Arbeitswelt, in der Flexibilität als Kernkompetenz gilt, ausgedient hat – in Österreich, seit im September die Novelle des Arbeitszeitgesetzes den Zwölf-Stunden-Arbeitstages legalisierte, sogar ganz offiziell. Scheffknecht rekurriert auf eine auf Effizienz und Markttauglichkeit ausgerichtete zeitgenössische Weltsicht, in der keine Ressource knapper ist als Zeit.
Als spielerischen Kontrapunkt dazu lassen sich Scheffknechts „Bubblegums“ (2010) verstehen: Die aus Glas nachgeformten Kaugummiblasen dehnen einen kleinen Moment ins Unendliche aus, allerdings weist dieser einen gänzlich anderen Charakter auf. Scheffknecht behält den Augenblick, wenn sich die Blase, prall mit Luft gefüllt, kurz vor dem Zerplatzen befindet, einen Moment des puren kindlich-unbekümmerten, völlig sinnbefreiten Vergnügens, der vielleicht genau deshalb so schön ist, weil er gleich schon wieder vorbei ist.
Text: Beate Scheder
Biografie
geboren 1980 in Dornbirn/AT; lebt und arbeitet in Wien
Ausgewählte Einzelausstellungen
2023
Broken Flowers, Korridor, Wien
2021
nine to five, Kunstraum Weikendorf, Weikendorf
2020
Dimensions, Sehsaal, Wien
pictorial space, Schauraum Quartier21, Wien
2018
points in time, Georg Kargl BOX, Wien
mirage, Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz
2016
dream argument, Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Solar days, Remise Bludenz, Bludenz
sciography, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2015
shift, Galerie der Stadt Wels, Wels
2013
spot, Sotheby’s Artist Quarterly, Wien
2012
eleven minutes twenty seconds, Kunsthaus Graz, Graz
sence, Ex-Garage, Maribor
2011
Georg Kargl BOX, Wien
Bubblegums, The Outside Gallery Window, Mailand
2008
Take Aways, Galerie Wilma Lock, St. Gallen
whiteout, Galerie Jeune Création, Paris
2006
scaffoldings, The Outside Gallery Window, Mailand
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2022
The Fest, MAK, Wien
2021
Heimspiel, Kunstraum Dornbirn, Dornbirn
25 Jahre Kunstforum Montafon, Kunstforum Montafon, Vorarlberg
Sammlung König-Lebschik,KUB Sammlungsschaufenster, Bregenz
Auf eigene Gefahr, Vorarlberg Museum, Bregenz
Solar Habitat, Lindabrunn
Unerkannnt, Bekannt, Kunstmuseum Appenzell, Appenzell
2020
Would You Be Available…, Georg Kargl Permanent, Wien
Borderland, Fotogalerie Wien, Wien
Attempt at Rapprochement, Georg Kargl Fine Arts, Wien
fake & fragment, Sehsaal, Wien
Now. Collected #9/#10, Bank Austria Kunstforum, Wien
minus 20 degrees, Festival for Art and Architecture, Flachau
2018
Plinque Projéction II, Cité Internationale des Arts Paris, Paris
Heimspiel 2018, Kunstmuseum Appenzell, Appenzell (CH)
A Recollection of Resonances, bb15’s 10-Year Anniversary Exhibition, bb15 - Raum für Gegenwartskunst, Linz
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
Reduction, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
2017
Plex Noir, Atelier Van Lieshout, Atisuffix, Manfred Erjautz, Werner Reiterer, Liddy Scheffknecht, Johannes Vogl, Kunst im öffentlichen Raum, Graz
2016
dream argument, Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Hybrid (...) Scapes, Nida Art Colony, Nida
FILTER, Kunstforum Montafon, Schruns
2015
Transparency, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Landscape: Transformations of an Idea – Art of the 1800 to the Present day from the Collection of the Neue Galerie Graz, Neue Galerie Graz, Graz
Random thoughts of a daily light, das weisse haus, Wien
Schneesalon, Georg Kargl BOX, Wien
(O)budowa, Liddy Scheffknecht, Jan Mioduszewski, Austrian Cultural Forum Warschau, Warschau
2014
Blow-Up, Albertina, Wien
côte intérieur, Kunstpavillon, Innsbruck
Inattentional Blindness, Galerie Zilberman, Istanbul
2013
Phantoms & Ghosts, das weisse haus, Wien
The Intransigent Ticket - The Artist as a Filter, CSULA Fine Arts Gallery, Los Angeles
PLI SELON PLI, Galerie 22,48m², Paris
ELASTIC VIDEO, Kunstraum Niederösterreich, Wien
2012
/TILT/, Liddy Scheffknecht, Armin B. Wagner, Zentralkunstgarage, Lustenau
Parcours, Claudia Larcher/ Liddy Scheffknecht, Galerie Stephanie Hollenstein Lustenau
4. Internationale Sinop Biennale, Sinop
Genius loci, Kulturpolis, Klaipéda
The Digital Uncanny, Edith – Ruß – Haus for Media Art, Oldenburg
2011
This is Happening II, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Donetsk goes Contemporary, Art Point Donetsk, Donetsk
Space Odyssey, Künstlervereinigung Maerz, Linz
Meet everyone at once, start an artist-run-space, Ogms, Sofia
Kaleidoskop, In der Kubatur des Kabinetts - der kunstsalon im fluc, Fluc, Wien
Elastic Video, Tokyo Wonder Site Hongo, Tokio
2010
HAPPY HOUR, In der Kubatur des Kabinetts - der kunstsalon im fluc, Fluc, Wien
Qui vive, 2nd Moscow International Biennale for Young Art, Artplay Design Center, Moskau
Matthias Garnitschnig, Claudia Larcher, Liddy Scheffknecht, c-Art, Dornbirn
Austria la vista, baby, The Art Foundation, Athens
Petit Plinque, Transforming Freedom, Museumquartier, Wien
Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Bernd Oppl, Liddy Scheffknecht, bb 15, Linz
WIR WOHNEN, Kunstraum Niederösterreich, Wien
2009
Plinque Projéction, Cité Internationale des Arts, Paris
Biennale of Young Artists of Europe and the Mediterranean, Nacionalna Galerija - Mala Stanica, Skopje
2008
Jeune Création 2008, Parc de la Villette, Espace Charlie Parker, Paris
GAMES. Kunst und Politik der Spiele, Kunsthalle Wien project space, Wien
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