Nadim Vardag
"Die Bilder verbergen nichts. Was man sieht ist sehr deutlich, aber der Sinn der Bilder ist immer zweifelhaft (...). Wenn das Publikum nach Hause geht, ist der Film noch offen (...) das ist eine der wichtigsten Eigenschaften der Moderne."
(Alain Robbe-Grillet über Michelangelo Antonioni)
Mit dem zunehmenden Einfluss der Massenmedien Kino und Fernsehen kam es seit den sechziger und siebziger Jahren zu gattungsübergreifenden Auseinandersetzungen mit dem medialen Bild, den Produktions- und Präsentationsbedingungen von Film sowie dem Verhältnis zu dessen Rezipienten. Die Integration von Film- und Videoarbeiten in den Ausstellungsraum ist seit damals selbstverständlich. Das Verhältnis zwischen Kunst und medialer Bildproduktion gehört zu den meist diskutierten Themen der Gegenwartskunst und ist angesichts einer immer noch zunehmenden Mediatisierung und der damit einhergehenden Informationsexplosion auch von soziokultureller Relevanz. Wie funktioniert mediale Bildproduktion, welchen Struktur- und Kompositionsprinzipien folgt sie, in welchem Abhängigkeitsverhältnis von Illusion und Wirklichkeit steht unsere visuelle Wahrnehmung und wie wird sie dadurch beeinflusst?
Nadim Vardag untersucht in den unterschiedlichsten Medien wie Installationen, Zeichnungen, Filmen oder Videoloops die Konstruktion medial vermittelter Bilder und hinterfragt die Mechanismen von Kino- und Filmproduktion. Dabei interessiert ihn das Repertoire, auf dem Film basiert, die Montage aus strukturell bewährten Techniken und verbindlichen Motiven, die durch immer wiederkehrenden Einsatz gleichsam zu archetypischen Symbolen geworden sind. Flackerndes Licht, überbelichtete Fenster, sich langsam selbst öffnende Türen sind Motive, die unheimliche Bedrohung suggerieren und beim Spannungsaufbau von Filmen eine wichtige Rolle spielen. Aus der Logik des „Suspense“ heraus, entsteht die Spannung durch den Wissensvorsprung des Zuschauers gegenüber dem Protagonisten, der durch die typisierte Situation das Eintreffen eines bestimmten – meist dramatischen – Ereignisses erwartet und gleichzeitig an der Verwirklichung des ursprünglich Erwarteten zweifelt und auf positive Wendung des Geschehens hofft. Vardag untersucht die Archteypen und wiederkehrenden Muster der Filmgeschichte, löst sie aus ihrem Handlungszusammenhang und inszeniert sie skulptural, in Zeichnungen und Videoloops.
In seiner Ausstellung in der Georg Kargl BOX reduziert er seine Auseinandersetzung auf rein technische Determinaten der Filmproduktion – auf Licht und Projektionsfläche. Eine vor die Fenster geschobene Kulisse mit einem Bildausschnitt im Cinemascopeformat gibt den Blick auf den dahinterliegenden Ausstellungsraum frei. Dieser wird von einem aus 41 Leuchtstoffröhren bestehenden Screen im Format 16:9 beherrscht, der von einer auf das Seitenverhältnis 4:3 basierenden Holzkonstruktion getragen wird. Die grell leuchtende Fläche, die sich in einem Zeitintervall an- und ausschaltet, spannt im architektonisch festgeschriebenen Rahmen einen zusätzlichen virtuellen Raum auf, der als sich ständig verändernder Handlungsspielraum erfahrbar wird und bestehenden Bezugssystemen und gewohnten Wahrnehmungsmustern zuwiderläuft.
Mit dem Betreten des Ausstellungsraums dringt der Besucher gleichsam in einen Backstage Bereich, der sein Bewusstsein auf die Hinterfragung von eindeutigen Zuordnungen und Sicherheiten von Realität und Illusion lenkt. Exakte, kleinteilige Zeichnungen von Projektionsflächen, Lichtkegeln und Vorführsälen verweisen auf die mediale Konstruiertheit vermittelter Bildwelten. Ein Videoloop zeigt den Blick von der Leinwand aus in einen abgedunkelten, sich fast unmerklich bewegenden, menschenleeren Kinosaal aus dessen Hintergrund das grelle Licht des Projektors strahlt. Aus dem Off ertönt das Surren und Knattern eines Projektors. Nadim Vardag bedient sich der filmischen Struktur der Montage. Einzelteile wie Kulisse, Lichtskulptur, Zeichnung, Videoloop und Ton werden präzise zueinander in Beziehung gesetzt und artikulieren ihren Zusammenhang primär über das atmosphärisch aufgeladene „Setting“. Ohne Film zu zeigen, vermittelt Vardag das Gefühl von filmischem Erleben, geprägt von unerfüllter Erwartungshaltung und verstörender Irritation und führt damit „Film“ vor, dessen Handlung und Ausgang offen für eigene Bezüge und Fragestellungen bleibt.
Kuratorin/Text: Fiona Liewehr
Biografie
geboren 1980 in Regensburg, lebt und arbeitet in Wien
Ausgewählte Einzelausstellungen
2024
FACCIATA / FACADE / FASSADE, Spazio ORR, Brescia, Italien
2023
Condition, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2021
Promo, STATIONS, Berlin
Speicher, New Toni, Berlin
2019
Neue Ordung, FOX, Wien
2018
Alte Muster, Georg Kargl BOX, Wien
2016
Kontakt, Strabag Kunstforum, Wien
Wiels Project Room, Brüssel
2012
Georg Kargl Fine Arts, Wien
A Hanging at Times, Times Bar, Berlin
Repeat and Fade, Kunstmuseum St. Gallen, St. Gallen
2011
∆, Kunstverein Medienturm, Graz
Studio, Berlin
2010
Augarten Contemporary, Wien
2009
Permanent, Georg Kargl Permanent, Wien
Mayerei, Karlsruhe
2006
Georg Kargl Box, Wien
2005
Look, Kunstverein Kohlenhof e.V., Nürnberg
The Night, ehem. Nomadenoase, Hamburg
2004
fluc, Wien
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2024
Gekauft! Und dann? Neues aus der Kunstsammlung der Stadt Wien, 2018-2023, musa, Wien
2022
Wenn der Wind weht, Kunst Haus Wien, Wien
2020
Would You Be Available…, Georg Kargl Permanent, Wien
On Heavy Rotation, Callirrhoë, Athen
Attempt at Rapprochment, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2019
Falling Awake, Vienna Contemporary, Wien (Kuratiert von Attilia Fattori Franchini)
Moves, Italic, Berlin
2018
Reduction, Gesellschaft für projektive Ästhtetik, Georg Kargl, Wien
Black and White Landscape, A collection, Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, Bonn
2017
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
Die Kutsche im Schlamm, Memphis, Linz
Spiegelnde Fenster, 21er Haus, Wien
White Cube – Black Box, Bank Austria Kunstforum / Tresor, Wien
2016
Los Angeles, MAK Center at the Schindler House, Los Angeles
Away, ehem. Post u. Telegraphenamt, Wien
De Oculis, Josephinum, Wien
Mind Fabric, Institut de Carton, Brüssel
2015
Now, At the Latest, Kunsthalle Krems
Parametics, Tamanoir, Brüssel
Destination Wien, Kunsthalle, Wien
Tetrachord, Josh Lilley Gallery, London
Suspended by Ourselves, LH40, Berlin
Transparency, Georg Kargl Fine Arts & Box, Wien
Modell Kunstverein, Neuer Aachener Kunstverein, Aachen
2014
How to disappear completely, Kunstpavillon, Innsbruck
Suspended By Ourselves, ASPN Galerie, Leipzig
2D23D, Galerie Ostlicht, Wien
Artists’ Film Club, ICA, London
Texte in der Kunst, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2013
Wiederholen und Ausblenden, mumok, Wien
Works On Paper, Galerie Tobias Naehring, Berlin
Groupshow, Forum Stadtpark, Graz
in progress – Werke aus der mumok Sammlung, mumok, Wien
Backwards into Paradise, Flood, Dublin
Fotos, 21er Haus, Wien
2012
Reflecting Fashion, mumok, Wien
Drawing Quote, Pigna Project Space, Rom
Sleepwalking, Freies Museum, Berlin
Die (II), Coco, Wien
2011
Ein psycho-geographischer Plan, Galerie Max Mayer, Düsseldorf
Single Museum, Kunstraum Düsseldorf
Dancing to the Rhyme, Kumho Museum, Seoul
2010
Pattern Recognition, PS Project Space, Amsterdam
Triennale Linz 1.0, OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz
Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Lebt und arbeitet in Wien III, Kunsthalle Wien, Wien
2009
BC21 Art Award, Augarten Contemporary, Wien
Endlosschleifen, Lothringer 13 Laden, München
Le Sang d’un poète, Biennal St. Nazaire-Nantes, Nantes
ConceptIOUS, Galerie Jette Rudolph, Berlin
Nothingness and Being, Fundación/Colección Jumex, Mexico City
Trick of the Light, MOP, Sydney
Filmsalon, Kunstverein Nürnberg
2008
Three Black Minutes, Künstlerhaus Stuttgart, Stuttgart
difference, what difference?, Art Forum, Berlin
Scene Missing, Galerie Thomas Schulte, Berlin
Scene Missing, Georg Kargl Fine Arts, Vienna
2007
Kino wie noch nie, Akademie der Künste, Berlin
Fade to Grey, Bell Street Project Space, Wien
This is Happening, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2006
Crosskick, Kunstverein Braunschweig, Braunschweig
Kino wie noch nie, Generali Foundation, Wien
Anfrage
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