Nicole Wermers
Public Rain Fries
Mit der Entscheidung für ein bestimmtes, in anderen Kontexten bekanntes Material wird eine künstlerische Arbeit mit Referenzen aufgeladen und eine Verbindung zwischen Form und Inhalt provoziert.
In diesem Sinne stellt die deutsche Künstlerin, Nicole Wermers, industrielle Produktion und Gebrauchsdesign für eine Neuverhandlung zur Disposition. Für ihre Ausstellung in der von Richard Artschwager entworfenen BOX entschied sie sich dafür, die Wände in der Art eines Ölsockels vom Boden bis etwa in Schulterhöhe mit einem Fries rundum zu verkleiden, dessen Materialität und Form auf ein so genanntes Rautenblech verweist, ein rutschfestes und wasserabführendes Strukturblech aus Aluminium, das in Lagerhallen, an Veranstaltungsorten, für Ein- und Ausgänge von Verkaufspassagen und andere stark frequentierte Orte verwendet wird und wie der Ölsockel öffentliche Räume markiert und architektonisch strukturiert. Sein Design aus ellipsenförmiger Oberflächenstruktur hat keinen autonomen Charakter sondern folgt der Notwendigkeit seiner Funktion. Diese Struktur wurde von Nicole Wermers aufgegriffen, das einzelne Element selektiert und als isoliertes Muster so modifiziert, dass es an eine assoziativ florale und der Natur entlehnte Form erinnert, an Blätter, Tropfen oder Palmspitzen. Dieses Herauslösen, Sezieren und (Re)konstruieren einzelner Elemente entwirft den Blick auf diese neu und sie werden daraufhin untersucht, was ihnen ästhetisch und funktional zugrunde liegt.
Die Frage nach dem Stellenwert der Gestaltung von Alltagsobjekten, wie zum Beispiel im industriellen Design, durchzieht viele von Wermers’ Arbeiten. Funktionalität und serielle Produzierbarkeit von Objekten scheinen diese für eine Autonomie von bildender Kunst grundsätzlich zu disqualifizieren. Nicole Wermers verhandelt genau diesen Aspekt neu, wenn sie Überlegungen zum Verhältnis von Zweckmäßigkeit und Ästhetik anstellt. Die Faszination für Form und Material ist in ihren Arbeiten nicht zu übersehen. Während sich die Kriterien des Verweismaterials durch eine besondere Belastbarkeit in ihrer Funktion, wie Kratzfestigkeit, Abwaschbarkeit etc., auszeichnen, weist das Endresultat in der Galerie eine starke Empfindlichkeit in der Oberfläche auf, die sich bereits bei Berührung schon verändern kann.
Mit der Wahl des Materials entscheidet sie sich für eine Textur, die einen ästhetischen wie auch ökonomischen Referenzbogen aufspannt, von einem funktionalen Modernismus (Bauhaus) über minimalistische Ästhetik (Minimal Art) bis hin zu den alltäglichen Bedeutungen industriellen Produktdesigns. Die Verwendung des Industrieblechs in der BOX in der Art eines Ölsockels, wie er seit dem späten 19. Jahrhundert in öffentlichen Gebäuden zum Schutz vor Verschmutzung und Abnutzung angebracht wurde und wird, verweist sowohl auf seine funktionale Ästhetik als auch ökonomischen Wert, verbindet also Form und Inhalt.
Die Architektur Artschwagers verbindet den Innenraum der BOX mit dem ihn umgebenden öffentlichen Raum in perfekter Synchronität. Das Innere kann ohne den Blick nach Außen nicht wahrgenommen werden. Wermers Fries spannt eine dünne Membran zwischen diese Gleichzeitigkeit und markiert so die Schwelle, an der der Übergang spürbar wird. Es umfasst den begrenzten sozialen Ort und öffnet sich nur in Richtung Portal. Durch die matte Spiegelung der Materialoberfläche wird jede Bewegung im Innenraum der Galerie reflektiert und verschaltet sich augenblicklich in der Wahrnehmung mit dem von Passanten und Straßenverkehr bewegten Außenraum. Das dichte Netz von Verweisen in den Arbeiten von Wermers, das kulturhistorische, ökonomische und räumliche Referenzsystem kommt gänzlich ohne Zitate aus. Einzig durch ihre Form und Materialität markieren ihre Arbeiten die Schwellenreize sozialer Räume, zwischen Ein- und Ausschluss, Architektur, Design und Kunst.
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