Carter
American Painting
„I think one general misconception of my work is that it’s always a form of self-portraiture. It really isn’t. It’s more the idea of portraiture that I’m interested in.“1 antwortete der amerikanische Künstler und Filmemacher Carter angesprochen auf seine Malereien und Skulpturen. Setzte er in früheren Werken handgefertigtes, marmoriertes Papier als abstrakten Hintergrund ein und verteilte synthetische Haare als artifizielle Repräsentation des Körperlichen auf der Leinwand oder collagierte er schwebende Köpfe auf Fotos von penibel ausgestatteten bürgerlichen Interieurs der 50er und 60er Jahre, hat sich seine künstlerische Praxis in den letzten Jahren entscheidend verändert.
In seiner dritten Einzelausstellung bei Georg Kargl Fine Arts hat er den Pinsel großteils gegen die Nähmaschine eingetauscht, den Bildträger mit Handtüchern verwoben und die Farbigkeit von einer reduzierten blau, grau, schwarz Palette auf grellbunt verschoben. Carters Handschrift bleibt dabei extrem charakteristisch und individuell. Subtile Variationen von sich ständig wiederholenden Farben - pink, rot, hellblau oder neongelb und -grün - und Formen - mit engen Stichen selbst genähte Gesichter, sorgfältig gesteppte Augen, weit aufgerissene Münder mit hellen Lippen und Zähnen, rausgestreckte Zungen und schwebende Köpfe - durchziehen geradezu manisch seine neuen Arbeiten. Losgelöst von jeglichen spezifischen Gefühlsregungen scheinen die Gesichter einen Raum zu bevölkern, der zugleich absurd wie gespenstisch wirkt. Fest auf den teils bemalten Bildträger appliziert, verschmelzen Vorder- und Hintergrund zu einem rein optischen Raum und es entsteht ein nicht mehr auflösbares Beziehungsgeflecht von formalen, inhaltlichen und historischen Verweisen.
Carters Umgang mit kunsthistorischen Vorbildern war immer unbekümmert. Ganz offen verweist er in American Painting auch auf deren formale Errungenschaften und seine eigenen Traditionen. Vergleichbar mit Robert Rauschenbergs Methode, in seinen Combine Paintings malerische mit skulpturalen Elementen zur Deckung zu bringen, integriert Carter Münzen mit Kopfmotiven, Spitzendeckchen und poppige Embleme, die an die lange amerikanische Tradition des Quilten und Patchworken anschließen. Andy Warhol in seiner Auseinandersetzung mit Identitätskonstruktionen, Rollenbildern und Sexualität stehen dabei ebenso Pate wie Picasso oder Hockney mit ihren in formale wie konzeptionelle kubistische Formen zerbrochene Figuren oder Cindy Shermans Spiel mit grotesken Masken, Verkleidungen und verdrängten Phantasien. Darüber hinaus referenziert er auf die counter- culture Bewegungen der 60er und 70er Jahre und zeigt sich sowohl an unheimlichen wie friedlichen sozialen Kulten dieser Zeit interessiert, mit dessen Kleidungsformen, kodifizierten Symbolen, Riten und Künsten er sich auseinandersetzt.
Die modernistische Praxis der Assemblage und Collagetechnik scheint Carter dabei besonders entgegenzukommen und er transferiert sie, von einem detailverliebten Perfektionismus getrieben, in die heutige „Cut and Paste“ Kultur. Er eignet sich künstlerische Vorbilder, traditionelles Handwerk und verrätselte Symboliken an, entleert und überlagert Bedeutungen, fragmentiert und dekonstruiert, um die Versatzstücke erneut zusammen- und gegenüberzustellen. Das Ergebnis dieser Methode kann formal gesehen nie alleine Malerei, Skulptur, Fotografie oder Zeichnung sein.
Es ist alles zugleich und immer dazwischen und verweist inhaltlich darauf, dass alles was mit gesellschaftlicher, sexueller oder sozialer Identität zu tun hat, nie fix und naturgegeben, sondern selbst wieder Erscheinung und Produkt eines sozialen und kulturellen Konstruktionsprozesses ist.
Carters Werke werden sich immer einer eindeutigen Festschreibung entziehen und gemäß seiner radikalen Offenheit und seines universalistischen Anspruchs ist diesem Text, dem Wunsch des Künstlers folgend, eine Reihe von Wikipedia links angefügt, die sein Beschäftigungsfeld der letzten Jahre skizzieren.
American painting:
https://en.wikipedia.org/wiki/Visual_art_of_the_United_States
Portraiture:
https://en.wikipedia.org/wiki/Portrait
Homosexuality (history / trajectory / closet):
https://en.wikipedia.org/wiki/Homosexuality_and_psychology
The Source Family
https://en.wikipedia.org/wiki/Father_Yod
Charles Manson / family:
https://en.wikipedia.org/wiki/Manson_Family
1960’s counter culture:
https://en.wikipedia.org/wiki/Counterculture_of_the_1960s
Cults:
https://en.wikipedia.org/wiki/Cult
1970’s:
https://en.wikipedia.org/wiki/1970s
Towels (the body):
https://en.wikipedia.org/wiki/Towel
Flags:
https://en.wikipedia.org/wiki/Flag
Samplers:
https://en.wikipedia.org/wiki/Sampler_(needlework)
Phillip Guston:
https://en.wikipedia.org/wiki/Philip_Guston
Feelings:
https://en.wikipedia.org/wiki/Feeling
Empathy:
https://en.wikipedia.org/wiki/Empathy
Craft:
https://en.wikipedia.org/wiki/Craft
Hand Model (ceramic sculpture):
https://en.wikipedia.org/wiki/Hand_model
Conceptual Art:
https://en.wikipedia.org/wiki/Conceptual_art
Early American Quakers / Society of Friends / Jemima Wilkinson:
https://en.wikipedia.org/wiki/Jemima_Wilkinson
Hollywood cults:
http://www.refinery29.com/2015/06/97992/famous-hollywood-cults-history
David Hockney:
https://en.wikipedia.org/wiki/David_Hockney
Rolling Stones:
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Rolling_Stones
Clothing, patches:
https://www.asildastore.com/blogs/news/103889222-a-brief-fashion-history-the-role-of-clothing-patches-in-counterculture
Carter wurde 1970 in Norwich, Connecticut geboren und lebt heute in Orient, Long Island und New York City. Er studierte am Maryland Institute College of Art, an der Skowhegan School of Painting and Sculpture und auf der University of California, Davis.
Seine Arbeiten wurden international ausgestellt, unter anderem im Whitney Museum of American Art in New York, im Museum of Modern Art, New York, im San Francisco Museum of Modern Art, bei White Columns, New York, in der Tate Modern, London, in der Royal Academy, London, in der Saatchi Gallery, London oder im Museion, Bozen. Seine Arbeiten waren in den Galerien Yvon Lambert, Paris, bei Salon 94 Freemans, New York, bei Marc Jancou in Genf und bei Georg Kargl Fine Arts in Wien zu sehen.
Der 2009/2010 in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Schauspieler James Franco entstandene Film Erased James Franco wurde im Museum of Modern Art, New York in der Tate Modern, London, im Cleveland Museum of Art, im Portland Museum of Art, im San Francisco Museum of Modern Art und im Castro Theater, San Francisco gezeigt. Sein Spielfilm Maladies, in dem Carter Buch und Regie führte, wurde auf der Berlinale Berlin, am SXSW film festival in Austin Texas und am Copenhagen International Film Festival in Dänemark gespielt.
2008 wurde von Georg Kargl Fine Arts der umfangreiche Katalog An Arm with Hair, (The Vienna Catalogue 1973) mit einem Interview von Matthew Higgs und einem Essay von Fiona Liewehr herausgebracht.
www.carteroffice.com
Text: Fiona Liewehr
[1] Carter im Gespräch mit Matthew Higgs, in: An Arm with Hair, (The Vienna Catalogue 1973), Wien 2008, S. 21
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