curated by Cathrin Mayer
comizi d´amore
Renée Green, Sharon Hayes, Christian Philipp Müller, Julia Scher, Marina Xenofontos, Bruno Zhu
Als ich die Einladung von Inés Lombardi erhielt, im Rahmen des diesjährigen Curated by Festivals mit dem herausfordernden Thema „The Neutral“ eine Ausstellung zu organisieren, wusste ich sofort, dass ich in die dichte und umfangreiche Geschichte und Sammlung der Galerie eintauchen wollte. Dieser Impuls entsprang möglicherweise meiner eigenen Vergangenheit. Da ich in derselben Straße aufgewachsen bin, in der die Galerie ist, habe ich als Teenager irgendwann beschlossen, dass ich mit Kunst arbeiten möchte. Heute, als international arbeitende Kuratorin, denke ich, dass ich ohne die Galerien in der Schleifmühlgasse diese Entscheidung vielleicht nicht getroffen hätte. Die ersten Ideen für die Ausstellung gingen von den Werken von Renée Green, Julia Scher und Christian Philipp Müller aus, die alle 1993 in der Galerie Metropol, die von Georg Kargl und Christian Mayer geleitet wurde, Ausstellungen hatten. Die ästhetischen Formen, mit denen diese Geschichte in der Ausstellung neu aufgegriffen wird, basieren nicht auf Ideen rund um das Archiv oder dem Ziel, eine Expertise über die Zeit und den Rahmen zu entwickeln, in dem die einzelnen Ausstellungen entstanden sind. IndemComizi d’Amore eine sehr kleine und feine Auswahl an Kunstwerken zeigt, zitiert die Ausstellung den ursprünglichen Kontext im heutigen Rahmen.
Die Ausstellung Commemorative Toile von Renée Green in der Galerie Metropol aus dem Jahr 1993 befasste sich mit der Geschichte der Toile-Produktion in Nantes, einem bedeutenden Sklavenhafen. Anhand ihrer Recherchen zu diesem Stoff, der für seine charakteristischen, sich wiederholenden Muster bekannt ist, zeichnete Green seine Verbindungen zum Atlantikhandel des 18. Jahrhunderts und seine Auswirkungen auf den Wohlstand der Stadt nach. Die Kunstwerke, die in verschiedenartigen Installationen an unterschiedlichen Orten präsentiert wurden, untersuchen die Dimensionen, die die Darstellung von Personen afrikanischer Abstammung in verschiedenen kulturellen und historischen Kontexten, die von entscheidenden Ereignissen wie der haitianischen Revolution und Verabschiedung des „Code Noir“-Gesetzes beeinflusst wurden, einschließen. Die umfangreiche Ausstellung in der Galerie Metropol integrierte unter Berücksichtigung des Präsentationsraums auch Bezüge zur Wiener Geschichte des 18. Jahrhunderts.
Julia Schers Computer Niche (Transgressions), die 1993 für ihre Mystery Meat Ausstellung entstand, basiert auf einen übersetzten Text der Künstlerin von einem Panel aus dem Jahr 1992, der auf einem Computermonitor mit einem rosa Hintergrund läuft. Es handelt sich um eine verkleinerte Interpretation des architektonischen Ideals des "White Cube". Schers Worte erläutern ihren unkonventionellen Umgang mit Kunsträumen als transgressiven Akt. Indem es Parallelen zu unbemerkten Regierungsverstößen zieht, positioniert sich das Stück als Reflexion über die Verschleierung solcher Handlungen durch die Medien. Die Arbeit erscheint als verkleinerte Interpretation des architektonischen Ideals des "White Cube".
O.T. Family of Austrians, (Ronzoni Room), (1993) von Christian Philipp Müller ist ein Modell im Maßstab 1:10, dass einen der Räume aus der Ausstellung The Family of Austrians in der Galerie Metropol zeigt. Die Ausstellung, die sich von Edward Steichens The Family of Man und Adolf Loos‘ Essay Wäsche (1889) inspirieren ließ, untersuchte Themen wie nationale Identität, kulturelle Repräsentation und die Rolle der Fotografie bei der Gestaltung kollektiver Erzählungen anhand kuratierter österreichischer Kostüme, Lehrfilme, und Darstellungen von ÖsterreicherInnen. Die Installation regte die Betrachter:innen dazu an, Repräsentation, Authentizität und kulturelle Narrative innerhalb und außerhalb Österreichs kritisch zu hinterfragen.
Jeder dieser künstlerischen Beiträge wird entweder in einer neu interpretierten Form oder in Referenz, als auch als symbolische Darstellung der vergangenen Ausstellungen, die genau drei Jahrzehnte zurückliegen, gezeigt. In Comizi d’Amore werden sie in den Rahmen eines zeitgenössischen Diskurses und im Dialog mit den Kunstwerken von Sharon Hayes, Marina Xenofontos und Bruno Zhu gestellt.
Während meiner Arbeit an dieser Ausstellung in den letzten Monaten wurde mir bewusst, dass das Konzept des Zitierens oder Paraphrasierens, eine vielversprechende Herangehensweise darstellen könnte, um sich dieser Ausstellung zu nähern.
Der Titel selbst deutet dieses Konzept an, indem er sich auf ein filmisches Werk von Pier Paolo Pasolini bezieht: Comizi d'amore, ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1964. Zwischen März und November 1963 drehte der Filmemacher in ganz Italien Interviews und Filmmaterial, auf der Suche nach dem, was man als den Geist des italienischen Volkes bezeichnen könnte. Der größte Teil des Films besteht aus einzelnen Interviewpassagen, in denen Pasolini mit Menschen über "das erste Mal", "Prostituierte" und "Scheidung" und andere aufschlussreiche Themen spricht. Da der Film Italiener:innen verschiedener sozialer Schichten und Hintergründe trifft, wird die Suche nach einer echten italienischen Identität durch das Prisma der Klasse, der Religion, der Sexualität und des Geschlechts gefiltert, die alle die nuancierten Perspektiven der einzelnen Personen des Films prägen.
Das Wesen des Films Comizi d'amore, der in der Ausstellung nicht gezeigt wird, ist jedoch in den verschiedenen Kunstwerken präsent, die sich kritisch mit dem gemeinschaftlichen Leben und der politischen Dimension der Liebe auseinandersetzen. Zu bestimmten Zeitpunkten wird die Präsenz des Films deutlicher sichtbar als zu anderen. Nehmen wir zum Beispiel den Film Ricerche: three (2013) von Sharon Hayes, in dem sie Pasolinis charakteristische ungeskripte Interviewmethodik verwendet. Durch die Arbeit Insecurity (2023) von Marina Xenofontos, die eigens für diese Ausstellung konzipiert wurde, wird das Konzept der "Love Meetings" greifbar, wie es durch die englische Übersetzung des Filmtitels nahegelegt wird. Xenofontos setzt eine Reihe von Werken fort, die von Tischen inspiriert sind, die gewöhnlich in den Gärten und auf Balkonen Zyperns zu finden sind. Sie symbolisieren die Räume der Gemeinschaft, in denen Familien und Freunde zusammenkommen. Die Tischplatten zeigen Bilder aus dem persönlichen Archiv der Künstlerin, die sowohl die intimen familiären Momente als auch die öffentlich Landschaft Zyperns dokumentieren. Die Vereinigung dieser beiden fotografischen Genres erfasst die Essenz des Lebens auf der Insel.
Bruno Zhus Arbeit Divorced, father of two. We met twice. He was seeing another man. He was not in love with him. He said I could make him do things he wouldn’t do like kissing on a first date. He said I was dangerous, and I said he was dangerous too. He liked the sound of my voice, and I liked the risk he took by listening to it. We said goodbye on the phone, one kiss after the other., (2022-2023) ist das Ergebnis eines Versuchs, die Liebe einzufangen, die ihm im letzten Jahr in Portugal begegnet ist. Diese Begegnung bildete ein numerisches Palindrom - 1, 2, 3, 4, 3, 2, 1 – das innerhalb der Form und auf der Oberfläche durch die Symbole von Spielkarten vorhanden ist. In Comizi d`Amore befindet sich das Boxset neben dem Raum, in dem Green’s Kunstwerke ausgestellt sind. Diese Platzierung ist ein Versuch zu erörtern, wie alltägliche Gegenstände zu Repräsentanten gesellschaftlicher und persönlicher Kämpfe werden können.
Während Green ihre neu geschaffenen Motive einfügt, hat Zhu eine massenproduzierte Klebefolie mit einem Blumenmuster für das Boxset erworben. Diese Folie wird üblicherweise für die Auskleidung von Schubladen, als Tapete oder für verschiedene dekorativen Anwendungen verwendet. Green's Commemorative Toile ist das Ergebnis ihrer vielschichtigen Praxis, die durch verschiedene Materialien an die Oberfläche tritt und darauf abzielt, vernachlässigte Geschichten auszugraben. Zhus Blick auf Materialien und Produkte ist geprägt von seiner Faszination für vermeintlich unscheinbare industrielle Muster, die er geschickt formt, manipuliert und neu positioniert, um die einflussreiche Rolle von Zeichen und Symbolen bei der Erzeugung von Bedeutung aufzuzeigen.
Der andere künstlerische Beitrag von Zhu Hug O’ Clock (2023) besteht aus sieben elastischen Hosenträgern, die in der Mode normalerweise zum Halten von Hosen verwendet werden. Die Serie ist inspiriert von den mechanischen Anzeigen für Stunden, Minuten und Sekunden, die als Arme einer Uhr bezeichnet werden. Zhu verlängert die Stunden- und Minutenzeiger auf die gleiche Länge und formt sie wie menschliche Arme, die sich förmlich an die Wände klammern, sie umarmen oder sich an ihnen festhalten. Innerhalb des Konzept der Ausstellung, das den Begriff des Zitats verwendet, könnten diese Elemente auch als sprachliche Zeichen, ähnlich wie Anführungszeichen, interpretiert werden, die strategisch in der Ausstellung platziert sind, um verschiedene Kunstwerke und künstlerische Standpunkte zu rahmen. Dieser Idee folgend werden die Beschreibungen von Zhu's Werken in Form von Zitaten präsentiert, die seine eigene Stimme widerspiegeln. Eine weitere Facette dieser Arbeit steht im Einklang mit Kerngedanken von Comizi d'Amore, der aus dem künstlerischen Bestreben resultiert, die Zeit zu manipulieren. Sie spiegelt damit die kuratorische Absicht wider, der Zeit habhaft zu werden und sie als ein Art Material zu begreifen.
Cathrin Mayer, 2023
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