Herbert Hinteregger und Koenraad Dedobeleer
A sense of disquietude concerning the existing order of things
Unter dem Titel „A sense of disquietude concerning the existing order of things“[1] zeigt Georg Kargl Fine Arts zum ersten Mal eine Ausstellung, die in Kollaboration des Belgiers Koenraad Dedobbeleer (geb. 1975) und des österreichischen Künstlers Herbert Hinteregger (geb. 1970) entstanden ist. „Ein Gefühl von Unruhe betreffend der bestehenden Ordnung der Dinge“, das nicht nur die beiden Künstler zu enger Zusammenarbeit bewegte, sondern auch den Besucher beim Durchschreiten der weitläufigen, verwinkelten Räume der Galerie beschleicht. Es sind jene Zwischenräume, Leerstellen, Alltäglichkeiten, die scheinbaren Nebensächlichkeiten, die oft unter die alltägliche Wahrnehmungsschwelle geraten, die die beiden ins Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung rücken. Gemeinsam entwickeln sie einen raffinierten vielschichtigen Referenzparcours, der auf überraschende Gemeinsamkeiten und mediale Schnittstellen verweist und ein dichtes Netz an Assoziationen aufspannt. Sie markieren und verändern den Ausstellungsraum durch minimale aber äußerst wirkungsvolle Eingriffe und subtile installative Setzungen und machen ihn als einen sich ständig ändernden Handlungsspielraum erfahrbar, der bestehenden Bezugssystemen und gewohnten Wahrnehmungsmustern zuwiderläuft und zugleich neue eröffnet.
So schiebt sich dem Betrachter gleich beim Betreten der Galerie ein Holzgerüst in den Weg, das in Material und Abmessungen die gegebenen architektonischen Verhältnisse der Fassade widerspiegelt und die Bewegungen des Besuchers in bewusst inszenierte Bahnen lenkt. Koenraad Dedobbeleers massives, handwerklich perfekt ausgeführtes Objekt ist das Ergebnis einer Analyse von ortspezifischen historischen Bedingungen, befragt das Verhältnis von Außen und Innenraum und inszeniert an der Schnittstelle von eigenständiger Skulptur und Gebrauchsgegenstand Probleme wie Realität und Modell, Codierung und Kontext. Der irritierende räumliche Eingriff fungiert gleichsam als Entree in ein spielerisches Versuchslabor der beiden Künstler, das voll von Andeutungen, kunsthistorischen Referenzen und ironischen Kommentaren ist. So balanciert ein von Herbert Hinteregger mit roter Kugelschreibertinte bemalter Nachbau eines Gerrit Rietveld Stuhles von Koenraad Dedobbeleer auf einem Holzsockel, der in der Proportion und der materiellen Ausführung jenen der Galerievitrinen entspricht. Von seinem herkömmlichen Gebrauchswert befreit und auf dem edel ausgeführten Podest in eine absurde Position gebracht, affirmieren und zugleich konterkarieren die Künstler auf humorvolle Weise die herkömmlichen Präsentations- und Vermittlungspraxen von Kunst und Designobjekten. In der Tradition der „institutional critique“ richten sie damit ihren Blick auch auf die institutionellen Funktionsweisen und Strukturen mit ihren ästhetischen, ökonomischen Rahmenbedingungen.
In der Farb- und Formsprache auf minimale Grundelemente reduziert, setzt sich Hinteregger in seinen Arbeiten seit Jahren konsequent mit dem konstruktiven Aspekt von Materialsetzungen auseinander. Dünne Klebestreifen breiten sich netzwerkartig auf der teils lasierend grundierten Leinwand aus und formen eine dynamische Gitternetzstruktur, auf die er monochrome geometrische Flächen aus Kugelschreiberfarbe setzt.
Die in mühevoller Kleinarbeit aus einzeln ausgepressten Kugelschreiberminen gewonnene Farbe wird in unterschiedlicher Dichte auf den Bildträger gebracht und bildet subtile Strukturen, die sich je nach Betrachterstandpunkt und Lichteinfall ändern und eine permanente Bewegung implizieren. Irisierende Kugelschreiberflächen reflektieren die Umgebung, eröffnen sich gleichsam in den Raum und kontrastieren mit der rohen, strukturierten Leinwand und den stumpf grundierten Partien, die das Licht absorbieren und auf die Fläche rückbinden. Dem Auge des Betrachters bietet sich keinerlei fixer Anhaltspunkt, wird in Bewegung gehalten, indem es dazu neigt, die Malerei über die realen Bildgrenzen in den Raum weiterzuführen um zugleich angehalten, wenn es die exakt ausgeführten Begrenzungslinien an den Rändern der Leinwand wahrnimmt. Hintereggers Arbeiten sind weder das Eine noch das Andere, sie sind alles zugleich. Sie sind sowohl abstrakt als auch gegenständlich, wenn sie etwa im geometrischen Flächenaufbau Entwürfe von Josef Hoffmann reflektieren, sie sind sowohl malerisch als auch konstruktiv und bestätigen das Bildfeld während sie es zugleich überschreiten.
In Kombination mit Dedobbeleers Objekten ergibt sich eine spielerische Anordnung, die sich der Tradition der unbekümmerten Aneignung, Verschränkung und Andeutung verschrieben hat und die architektonischen und historischen Gegebenheiten des Ausstellungsraumes stets mitreflektiert. Unter der Wendeltreppe wurde etwa von Dedobbeleer ein von einem schirmartigen Pappeobjekt bekröntes Metallgestänge just an der Stelle positioniert, an der 1998 bei der Eröffnungsausstellung der Galerie Dan Flavins Neonröhrenarbeit „for Ad Reinhardt“ gezeigt wurde.
"The circular character of reasoning" ist aber nicht einfach funktionsloser Nachbau einer Flavin Skulptur, die durch das Pappeobjekt sowieso eher einer Stehlampe gleicht; es ist ein selbständiges Kunstobjekt, das über die Praxis der Appropriation, auf elegante Art erneut Fragestellungen um die Autonomie von Kunstwerken in Abhängigkeit von räumlichen, historischen und thematischen Kontexten reflektiert.
Wenn die Künstler sich dazu entschließen, ein schwarzes, maschinell gefertigtes Metallgitter von Andreas Fogarasi unkommentiert in ihre Ausstellung mit einzubeziehen, das wie die skulpturale Übersetzung eines Netzwerkbildes Hintereggers gelesen werden kann, machen sie zudem deutlich, dass auch das Konzept von künstlerischer Autonomie und Originalität längst dem einer ideellen Konstruktion von Versatzstücken frei von Hierarchien und Ursprüngen gewichen ist. Dass künstlerische Produktion nie alleine auf individuelle Imagination beruht und sich in der heutigen Cut and Paste Kultur mehr denn je auf die Methoden der Aneignung, des Zitierens und (Re) kontextualiserens bezieht, kommentieren Hinteregger/Dedobbeleer eindrucksvoll im Oberlichtsaal der Galerie. Lapidar bezeichnet Hinteregger seine Aktion des Herausnehmens der gesamten Deckengläser zur Hervorhebung des Rasters und der Gitternetzstrukturen, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung zu ziehen scheinen, mit "Untitled (Man braucht nur das Getane Fortzusetzen)". Ein Zitat aus den Schriften von Ad Reinhardt, wurde als Aufforderung verstanden, die bereits von einigen Künstlern angedeutete Idee, die Glasdecke in den Ausstellungskontext einzubauen, bis in die letzte Konsequenz durchzuziehen. Imposant öffnet sich der Raum nun nach oben und macht die sonst verborgenen architektonischen Gegebenheiten und Feinheiten der Fabrikationshalle einer ehemaligen Druckerei sichtbar, in der es scheint als habe sich der Geist der über 100jährigen Geschichte seltsam eingeschrieben. Koenraad Dedobeeleers Objekte, wie die auf verschiedenen Höhen hängenden Metalllampen und bunten Keramikkugeln oder die behausungsartige, konstruktivistische Bodenskulptur wirken in diesem historischen Ambiente wie fremdartige Eindringlinge aus einer unbestimmten Zeit, die in Kombination mit Herbert Hintereggers exakten, fein schillernden Leinwandarbeiten dem „sense of disquietude concerning the existing order of things“ neue Bedeutung verleihen.
Text: Fiona Liewehr
[1] aus: The Studio, 1906, „The Art-Revival in Austria“, gesamt: „revivals in art spring from a sense of disquietude concerning the existing order of things: they are the strivings after truer and nobler ideals“
Anfrage
Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht hier