Muntean / Rosenblum
Lost in the savage wilderness of civil life
M. M.: […] Wir versuchen, eine komplexe Struktur herzustellen, in gewisser Weise eine polyfone Struktur, wie ein polyfones Musikstück, in dem jede Stimme einen eigenen Beitrag liefern muss und nur bis zu einem gewissen Grad unabhängig ist. Diese komplexe Struktur ist Teil unseres Versuchs, ein System zu schaffen, das – was beim ersten Hinhören ein wenig widersprüchlich klingt – ein System präziser Mehrdeutigkeit ist. Das heißt, dass jedes Element irgendwie selbstbezüglich und selbstkritisch ist. Denn jedes Element erzeugt mit den anderen eine Spannung, setzt die anderen in Klammer, sodass sie aber immer noch da sind und man sie lesen kann – wie bei der Derrida’schen Methode, ein Wort in einem Satz durchzustreichen. Das Wort negieren, aber zugleich sichtbar lassen.
C. W. E.: […] Sagt doch etwas über die Beziehung zwischen Bild und Text. Ich meine den Text, die schwarz geschriebenen Wörter unter den Malereien. […] Auch wenn sie vom Bild getrennt sind wie eine Art Denkblase, die aus dem Nichts kommt. Es ist, als wäre das Bild aus einer Erzählung über irgendwas herausgenommen und die übrige Geschichte wie eine Lücke zwischen Bild und Text. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich da eine Bildunterschrift lese und dann mein Wissen auf das Bild zurückprojiziere oder ob die Charaktere im Bild eine Art Stimme bekommen. Wie sehr ist der Text eine Stimme oder ein Kommentar? Möglicherweise ist er ja beides zugleich.
M. M.: Eines unserer Hauptthemen ist die heutige Idee des Subjekts und die Frage nach dessen Identität. Hat das Ich heute noch eine zusammenhängende Struktur? Es stimmt, dass der Text eine eigene Ebene darstellt, denn es handelt sich um eine absichtliche Irreführung. Wir sind nämlich so daran gewöhnt, eine Bildunterschrift unter einem Bild zu lesen, dass der Text für uns erklärend sein muss. Man liest ihn, und es könnte einen Hinweis auf eine der gemalten Figuren im Bild geben, irgendwie aber auch wieder nicht, und man weiß nicht, wer spricht und ob es eine einzelne Stimme ist. Das spiegelt dann genau das Geschehen in der Malerei. Man ist sich nicht sicher, ob es ein wirkliches Porträt ist. Der Gesichtsausdruck mag ein wenig traurig sein, und man ist nicht sicher, ob diese Traurigkeit auch nur annähernd dasselbe aussagt wie der Text. Der Text stellt immer eine bestimmte Atmosphäre oder einen Pathos her und ganz allgemein bestimmte Lebensmaximen oder Aphorismen. […]
C. W. E: Ich möchte nun zu etwas Pragmatischerem zurückkommen, und zwar in Bezug auf das Verhältnis der dreidimensionalen Objekte (oder Skulpturen) zum Rest eures Werks. Außerdem möchte ich über Video und die Audioelemente sprechen. Denn da sehen wir den aufregendsten Aspekt dessen, was ihr im Moment macht: eine Art Reibung zwischen dem zeitgenössischen Bildraum und dem gar nicht zeitgenössischen Assoziationsraum des Tons. Was spielt in diesem außergewöhnlichen Bruch alles eine Rolle? Phänomenologisch hören wir ja in der Gegenwart, aber was wir hören, evoziert wie ein Lamento eine dunkle Erinnerung an eine vergangene Zeit und einen vergangenen Raum – ein „Memento mori“.
A. R.: Im Video haben wir klarerweise Fotos und echte Personen, sodass der Zugang ein anderer ist als bei unseren Malereien. Dort versuchen wir, den präzisesten Kontext für eine bestimmte Vorgehensweise in der Art der Malerei zu finden; der traditionelle figurative Malstil dient in gewisser Weise dazu, eine bestimmte Aura und eine bestimmte Gefühlswirkung zu erzeugen. Dieser malerische Ansatz muss gut ausbalanciert sein, und das ist ziemlich schwierig; wenn es zu lange dauert, etwas zu malen, fangen wir von vorne an. Es soll ja keine Malerei um der Malerei willen sein. Dennoch muss klar sein, dass der Farbauftrag wichtig ist, andererseits wollen wir es auch nicht übertreiben. […] Im Video ist die Wirkung von Gefühl und Aura dem Ton vorbehalten.
M. M.: […] in der Auswahl der Musik liegt ja eine gewisse Leidenschaft, die definitiv in Richtung früher und polyfoner Musik geht. Renaissance- und Barockmusik werden oft als ausschließlich künstlich aufgefasst, als sehr mathematisch und abstrakt und ohne jede emotionale Wirkung. Also sind wir wieder einmal bei der falschen Dichotomie zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen angelangt. Das Ideal „natürlich“ wäre in diesem Fall eine vollkommen homofone Musik, mit nur einer Stimme ohne Begleitung. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Rameaus Musik von Rousseau heftig angegriffen wurde, weil sie zu künstlich und kompliziert und irgendwie wider die Natur sei. […]
C. W. E.: Ich glaube, dass eure Methode sehr konzeptuell ist, weil jene Strategien so stark im Vordergrund stehen, die die Zustimmung des Publikums und dessen Intersubjektivität im Bezug auf das Kunstwerk überprüfen. Ich möchte das noch etwas enger fassen und über den Zusammenhang mit den bildhauerischen Arbeiten reden. Wenn wir grob unterscheiden zwischen dreidimensionalen Objekten als einer Art Simulacrum von etwas, das es in der Welt geben könnte, […] und solchen, die unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität nicht funktionieren, inwieweit macht die Beschneidung der Funktionalität die Objekte realer?
A. R.: Ich denke, das ist metaphorisch zu verstehen. Wir hatten die Diskussion, ob es funktionieren sollte, und wir haben begriffen, dass es falsch wäre. Denn es soll sowohl eine Skulptur als auch eine Metapher für etwas sein. […]
M. M.: Hier ist der Schlüssel wieder das „Memento mori“. Das ist wirklich ein ernstes Thema. Es handelt sich hierbei um Vehikel. Da ist einmal diese Maschine oder dieses Objekt aus einem Turnsaal, und man erkennt es auch. Aber es ist nicht real. Es geht darum, die nötige Information zur Verfügung zu stellen, um das Objekt erkennen zu können und den Bezug auf das reale Objekt klar zu machen, es aber vollkommen wie eine Skulptur zu machen. Der Stil der Skulpturen ist ja fast komisch oder naiv […].
C. W. E: […] Es gibt also eine Subtilität, die sich auf die Naivität der Sache konzentriert. Andernfalls wärt ihr ja hyperrealistische Bildhauer oder Readymade-Künstler, die einfach BMX-Räder oder so was verwenden. In skulpturaler Hinsicht führt ihr – für mich – eine Ebene der Grausamkeit und eine Ebene der Enttäuschung ein, weil man sich mit einem Ding befasst, das nicht funktioniert und auch nie funktionieren wird. […] Eigentlich glaube ich, dass die Objekte bestrafend wirken, sie haben eine kraftvolle und – ich würde sagen – aggressive Wirkung. Irgendwie balancieren sie die melancholische Tendenz des Raums des Subjekts aus.
(Überarbeitete Version) Cerith Wyn Evans, “Cerith Wyn Evans in Conversation with Markus Muntean and Adi Rosenblum”, in: Ausstellungskatalog To Die For – Muntean/Rosenblum, De Appel Foundation, Amsterdam, 2002, S. 52-60.
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