Paul de Reus
[Paul de Reus verwendet] die Gestalt des Menschen, Körperteile und triviale Gegenstände des Alltags, in Holz geschnitzt, und [kombiniert sie] mit anderen Materialien wie Gummi, Haar oder Textilien. Dabei verbindet er scheinbar unvereinbare Gegensätze miteinander und erreicht ein Changieren zwischen Realität und Fiktion. Natürliches und Künstliches, Lebendiges und Dingliches, Männliches und Weibliches werden in seinen dreidimensionalen Arbeiten kombiniert und führen zu einer Irritation gewohnter Wahrnehmungsmuster. […]
Obwohl groteske Gestaltungsprinzipien schon in der mittelalterlichen Kunst auftreten, wurde der Begriff des Grotesken erst in der Renaissance geprägt. […] Auch zu Beginn dieses Jahrhunderts tauchen in der Kunst groteske Gestaltungselemente auf, zerstückelte Körper und fantastische Kombinationen wie etwa bei Otto Dix, George Grosz oder im Surrealismus. Diese Phänomene sind ein Versuch, das Absurde und Abnorme bewusst zu machen, das Dämonische und Bedrohliche in einer entfremdeten Welt zu bannen. Davon lebt auch das Paradoxe in der Kunst von Paul de Reus. Mittels der Verknüpfung von sich eigentlich Ausschließendem überführt er Alltagsrealität in Komik. Das banal klingende [Diktum], dass Lachen und Weinen nahe beieinander liegen können, ist im Sinne solchen Umschlagens von Komik in Melancholie für Paul de Reus bedeutsam. […]
Das Wiedererkennen des eigenen körperlichen Erscheinungsbildes im Spiegel führt – nach den Erkenntnissen einer strukturalistisch orientierten Psychologie – in der frühen Kindheit zu einem imaginären Selbstbild, es erweckt den Wunsch nach der idealen Ganzheit und Unversehrtheit des „Ich“, das sich im Anblick des eigenen Körpers im Spiegel herausbildet. Dieses Idealbild des auch im Mythos Narziss angesprochenen Wunsches einer vollständigen Identifikation des „Ich“ mit sich selbst wird in den Figuren von Paul de Reus angesprochen und zugleich mittels verfremdeter Elemente gebrochen. Nicht nur, dass seine mit Spiegelungen arbeitenden Ensembles kein realistisches Abbild seiner Figuren wiedergeben – sie entlarven auch die imaginäre Struktur des menschlichen Selbstbildes und stellen es infrage. Seine Plastiken haben oft monströse Proportionen, ganze Körperteile fehlen, manche von ihnen bestehen nur aus Fragmenten, oder andere sind in unnatürlichen, grotesken Situationen und Positionen gefangen. Eine gelegentlich erschreckend realistische Wirkung gewinnen die Plastiken zum einen durch ihre Lebensgröße, zum anderen aber auch durch die Verwendung verschiedener natürlich wirkender Materialen wie Haar oder Textilien sowie durch ihre farbige Fassung. […] [Jedoch haben seine] Arbeiten keine abbildende Funktion. Sie sind weder Porträts noch Puppen noch Roboter oder Automaten, sondern Gestalten, die ihre eigene Individualität ausstrahlen und die eine intensive Auseinandersetzung ihres Schöpfers mit sich selbst, seiner Umwelt, seine Gedanken und Fantasien erahnen lassen. […]
Ulrike Franz, „Humor in der Kunst des Paul de Reus“, in: Katalog Ein haus mit zuviel besuch, Paul de Reus, Galerie der Stadt Esslingen am Neckar, Esslingen 1994, S. 38ff.
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