Björn Kämmerer
Eine dunkle Bretterwand füllt den Ausstellungsraum der Georg Kargl BOX. Die einer Hütte ähnelnde Bauform befindet sich auf Metallschienen und wird durch einen Elektromotor um die eigene Achse gedreht. Es ist eine raumfüllend-sperrige Skulptur, die den Zutritt zum White Cube verunmöglicht, einen Raum im Raum herstellt, aber nur eine Außenansicht durch das Schaufenster zulässt. Die Defizite der körperlich-haptischen Erfahrung im Ausstellungsraum muss der Augensinn kompensieren. Somit verwandelt sich der Galerieraum in eine Bühnensituation und die Straße vor der Galerie in einen Zuschauerraum. Mit dieser räumlichen Trennung von Objekt und Betrachter entstehen Anspielungen an die Vorführsituation im Kino, die dem betrachtenden Blick einen fixen Ort zuweist. Neben seiner Materialität (Bauholz) als Antithese zum White Cube und zur Ästhetik der von Richard Artschwager entworfenen Fassade der Galerie fasziniert das Objekt durch das Spiel mit Blickkonstellationen. Der rotierende Holzkörper erzeugt eine apparativ produzierte Visualität und ist ebenso eine Sehprothese wie jene optischen Geräte des 19. Jahrhunderts wie dem Mutoskop oder dem Kinetoskop, die mit dem Trägheitseffekt des Sehens experimentierten.
Der junge Medienkünstler Björn Kämmerer, dessen Oeuvre bereits eine Vielzahl höchst bemerkenswerter Found-Footage-Arbeiten und Videoinstallationen umfasst, konzipierte diese Rauminstallation. Diese setzt sich ebenso wie die meisten seiner neueren Filmarbeiten und Videoinstallationen mit dem Verhältnis von architektonischem und kinematographischen Raum auseinander.
Das Holzobjekt in der Georg Kargl BOX spielte die Hauptrolle in Kämmerers aktuellem Film gyre (2009), einer auf 35mm gedrehten Plansequenz. die das rotierende Objekt in unterschiedlichen Kamera- und Lichteinstellungen aufnahm. Am Filmset und in der zum Guckkastenraum umfunktionierten Galerie spielen die unterschiedlichen Maße der Holzwände mit den Bildformaten bewegter Bilder. So ist etwa die zweitgrößte Wand im Verhältnis 1:1,66 gebaut und kann als ein ironischer Kommentar zum Seitenverhältnis im Breitwandverfahren (Cinemascope) gelesen werden. Der Ausstellungsraum nobilitiert auf eine gewisse Weise das Handwerk des Films. Zu sehen sind Einblicke in die visuellen Praktiken des Kinos. Sie zeigen in einem Bild sowohl die Mechanik des Apparatus (Projektor) als auch die Ebene der filmischen Repräsentation (Projektion). Wände und Fensteröffnungen setzen unterschiedliche Rahmungen und schaffen einen sich permanent veränderlichen Film im Film. Der vermeintlich unscheinbare Holzbau repräsentiert also nichts weniger als eine Denkform über das Kino. Man könnte ihn als eine Art gebaute Reflexion über die filmische Repräsentation des bewegten Bildes verstehen. Dabei firmieren der architektonische und der filmische Raum als gleichrangige Medien visueller Erfahrungen. Fixe Anhaltspunkte gibt es nur noch in Zitaten und Referenzen wie etwa den gebauten Kommentaren zu Projektionsgrößen. In Anlehnung an Gordon Matta-Clark enthält der Holzbau cut-outs, hier Fensteröffnungen im Verhältnis von 4:3, welche die Raumtextur zerschneiden und den Blick in das Innere des Baukörpers freigeben. Das Fenster ist eine bekannte Metapher für das Kino selbst und bietet im Zusammenhang mit der Ausstellung die Möglichkeit einer weiteren Kodierung, nämlich als Schaufenster im urbanen Raum. Seit seiner Frühzeit war das Kino eng mit der kommerziellen Inszenierung von Waren und mit anderen Unterhaltungsbranchen wie dem Zirkus, dem Varieté oder dem Jahrmarkt verknüpft. In Björn Kämmerers Rauminstallation konvergiert diese Metapher des Fensters, also das Betrachten eines Bildes durch einen Rahmen, mit dem Ausstellen eines begehrten Objekts und spielt damit auf die lustbesetzte und illusorische Projektion in der Kinoerfahrung an (z.B. Kino als virtueller Raum).
Zu sehen ist auch eine „Tür“, die sich nicht nach außen hin öffnen lässt. Sie durchkreuzt die Erwartungshaltung des Betrachters. Der „fehlende“ Eingang auf der Außenseite der Bretterhülle verdeutlicht den Bruch mit der Alltagswahrnehmung. Damit ergibt sich auch in diesem Fall kein homogenes Bildgefüge. In Anknüpfung an das Filmgenre des Unheimlichen, das seit dem frühen Erzählkino mit den Grenzen zwischen Innen und Außen operiert, entsteht der Eindruck eines paranoiden Filmraums, der sich unter ständigem Verweis auf die kontinuierliche Praxis der visuellen Raumkonstruktion seiner Gesamtschau (und visuellen Kontrolle) entzieht.
Ein besonders hervorstechender Aspekt in den Arbeiten von Björn Kämmerer ist ihre Qualität, Film und Architektur in einen Dialog treten zu lassen. Die ausgestellte Rauminstallation und der Film gyre greifen ineinander, da sie neue Denkmöglichkeiten des medialen Raums im Bereich Architektur, Kino und Film eröffnen.
Prof. Dr. Ramón Reichert,
Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Universität Wien
Anfrage
Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht hier