Camila Sposati
Phonosophia
Münder, Ohren und Schwerkraft Camila Sposati Phonosophia, gelesen von Aziza Harmel
“Sounds have curled up inside themselves, withdrawn their snail’s eyes; the orchestra of the world has departed, vanishing into the park.”Olga Tokarczuk, Flights
Der Ausgangspunkt des Projekts Phonosophia ist Camila Sposatis Interesse an der Essenz von Innenleben und Stratifikation: dem Zentrum der Erde als unbekannte Zone, in der Energiestränge kollidieren und Schwerkraft erzeugen. Mittels diverser epistemologischer Systeme erforscht Sposati Transformationen und Energietransfers auf mikroskopischem, wie auch globalem Niveau, dazu zählen beispielsweise das Wachstum von Kristallen in Laboratorien oder die dynamische Geologie der Erdoberfläche an verschiedenen Orten. Dieser Fokus führte Sposati zur Entwicklung des Earth Anatomical Theatre, welches sie für die dritte Bahia Biennale 2014 erbaute. Um von Phonosophia zu sprechen – einem Projekt, welches sich aus Zeichnungen, Instrumenten, Aktivierungen und Partituren zusammensetzt – ist es notwendig, das Earth Anatomical Theatre zu verstehen. Dieses temporäre kegelförmige, unterirdische Theater nimmt Bezug auf das allererste anatomische Theater: das Anatomische Theater im Palazzo Bo der Universität Padua. 1594 entwarfen der Anatom Hieronymus Fabricius, der Theologe Paolo Sarpi und der Architekt Dario Varotari der Ältere das Theater einer maximalen Publikumskapazität entsprechend, um das Spektakel der Leichendissektion möglichst vielen Zusehern zu ermöglichen.
Der Akt des Grabens eines Loches, um in Bahia ein Theater zu bauen (welches ein Jahr später abgebaut und wieder zugeschüttet werden würde), zeigt außerdem, wie koloniale Rechtssysteme und spätkapitalistische Strukturen die Logik der Extraktion unterstützen. Der Bergbau gehört zu den wichtigsten Industrien der brasilianischen Wirtschaft und wirkt sich desaströs auf die Umwelt und die indigene Bevölkerung des Amazonas, welche diese Terrains noch vor kolonialen Zeiten bewohnte, aus. Sposati erkennt an, dass die Erde sich erinnert und wiedergibt, folglich existiert ein Verhältnis zwischen der Anatomie der Erde und der Notwendigkeit der Reflexion über das Innere – den Organen der Erde. In Anbetracht dieser Erkenntnis über die Wichtigkeit des Inneren sind die Instrumente für Phonosophia entstanden. Die Verbindung zwischen dem anatomischen Theater, den Zeichnungen und den Instrumenten, ist im Kontext Sposatis künstlerischer Praxis zu verstehen: Bildmaterial und Objekte treffen und kreuzen sich in einem Netzwerk, das aus materiellen, symbolischen und diskursiven Linien entsteht.
Die Instrumente evozieren und beschwören die Strukturen und Funktionen der menschlichen Organe herauf: Gedärme, Leber, Larynx, Lungen. Dennoch beziehen sich diese Objekte nicht auf sich selbst, sondern sind als Subjekte zu verstehen, so wie die Zeichnungen keine bloßen Darstellungen der Instrumente sind, sondern mit ihnen sowohl potentiell wie auch bewusst koexistieren. Sposati löst sich von einer bestimmten Wahrnehmungsart und erforscht an deren Stelle ein Verständnis der Welt, dem diverse Zugänge zum menschlichen Körper und seinen Funktionen zugrunde liegen. So reflektiert Sposati darüber, wie Bedeutung jenseits von Wissensdrang und Nichtverstehen zirkuliert. Die Ausstellung in der Georg Kargl BOX trifft sich mit der von Diedrich Diederichsen und Oier Etxeberria kuratierten Ausstellung Cypernetics of the Poor in der Kunsthalle Wien, in der Sposatis Phonosophia ebenfalls gezeigt wird. In Cybernetics of the Poor sieht man einige der Instrumente Sposatis auf einem runden Holzpodest von einer Wand umgeben. Auf diese hat die Künstlerin Partituren gezeichnet, die für mögliche Aktivierungen gedacht sind. Für Sposati sind Aktivierungen eine latente, sichtbare oder auch unsichtbare, Interaktion binnen der Konstellation dieser Arbeit, innerhalb eines gegebenen Kontexts. Jedes Element ist ein Gefäß für einen potentiellen späteren Gebrauch. Diese Potenzialität geht weit über das, was eventuell passieren könnte, hinaus. Sie dient als Bestätigung für den konstanten Fluss der Energien, die uns umgeben. Durch die Aktivierung entsteht ein Umfeld für einen solchen Fluss, der weder zufällig noch vorbestimmt ist. Ein solcher Dialog entsteht auch zwischen den beiden Werkgruppen in den zwei sich an verschiedenen Orten derselben Stadt befindenden Ausstellungen. Sie aktivieren sich gegenseitig, abseits jeglicher Metaphorisierung. Durch die Exteriorisierung von Leben und Denken zieht Phonosophia Parallelen zwischen Stimme und Übertragung. Die Form des Objektes gestaltet sich aus drei Teilen: Münder, Ohren und Schwerkraft. Diese drei Elemente sind mit- und untereinander verbunden und doch unterscheiden sie sich in ihrer Verbindung von dem westlichen Instrument. Sposatis Trompete hat beispielsweise kein Ventil und erzeugt dadurch nur einen Ton. Nicht die Virtuosität steht hier am Spiel, es geht viel eher um die Intention und die Intensität des Blasens in das Instrument und die Art der Exteriorisation, die dadurch stattfindet. Die Instrumente können für mehrere Personen aktiviert werden, manche sind sogar entworfen worden, um dem- oder derjenigen, der oder die für die Aktivierung zuständig ist, eine Antwort zu geben. In jedem Fall heben sie, die Potentialität aus dem Inneren des Instruments selbst gehört zu werden, hervor.
Spricht man von diesen Instrumenten, so ist man versucht, den Begriff an Animismus zu verwenden. Ich werde allerdings auf die zentrale Idee in Sposatis Werk, die der Intention, eingehen. Nicht der Klang, den das Instrument erzeugt, inspiriert seine Form, sondern die Intention der Künstlerin, das Material, mit dem sie arbeitet, und seine Möglichkeiten. Sie verwendet Ton als formbare Materie, die für ihren Schaffensprozess ausschlaggebend ist, befasst sie sich doch stets mit Feuchtigkeit, Transformation und Energie. Während des gesamten Prozesses, der sich als intim und fragil charakterisieren lässt, ist der Ton als Membran aufzufassen, durch den ein konkreter Transfer von Energien stattfindet. Das Material wird durch seine eigene poröse Viskosität animiert und dient somit als Ort des Austauschs, durch welchen hindurch Inhalt und Potentialität des Inhaltes zirkulieren.
Astrida Neimanis bespricht diese Idee der Membran in ihrem Text Hydrofeminism: Or, On Becoming a Body of Water und bezieht sich dabei auf Nancy Tuanas Verwendung des Begriffes ”viskose Porösität”. Neimanis schreibt „obwohl das Konzept des Flusses seinen Fokus auf Durchquerungen über und zwischen Körper legt, so erinnert uns Tuana an stille Körper – alle unterschiedlich – die ebenso bedacht werden müssen. Viskosität legt die Aufmerksamkeit auf ‚Orte des Widerstands und der Opposition‘, anstatt einfach auf ‚eine Vorstellung der offenen Möglichkeiten‘, welche auf einen willkürlichen Fluss hinweisen könnten. Obwohl wir alle wässrige Körper sind, die ineinander auslaufen und voneinander aufsaugen, so leisten wir der vollkommenen Auflösung Widerstand, weigern uns materiell vernichtet zu werden oder, besser gesagt, wir verschieben es: Asche zu Asche, Wasser zu Wasser.” Sposati würde wahrscheinlich hinzufügen: Erde zu Erde, die Erde der Erde.
Die Farbe, die Sposati für ihre Zeichnungen von Instrumenten (die das erste Mal in dieser Ausstellung gezeigt werden), verwendet, ist sowohl in ihrer Materie als auch in der Unbestimmtheit ihrer Farbigkeit viskos. In der Tat bedient sie sich oft irisierender Farbe, welche den Anschein erweckt, von Lichtwinkel und Lichteinfluss abhängig graduell sich zu verändern. Die Unbestimmbarkeit der Farben, mit denen Sposati ihre Instrumente zeichnet, ist außerdem die Konsequenz des Widerstands der Künstlerin, diese Instrumente der Darstellung zu unterwerfen. All diese Vernetzungen in Sposatis Werk sind das Ergebnis konkreter, wenn auch unsichtbarer, Transfers von Erfahrungen im Rahmen ihres künstlerischen – konzeptuellen und körperlichen – Schaffens. Im Kontext der westlichen Politik des Blickes und des Bildes besteht die Annahme, dass das Sichtbare existiert, während das Unsichtbare inexistent ist. Eine solche Spaltung ist wider der Natur. Sie ist ein Konstrukt, das aus historischem und sozialem Ringen entstanden ist. Phonosophia verabschiedet sich von dieser Spaltung, um in Richtung einer Begegnung von mehreren Körper zu treiben, die durch ihr gemeinsames Ineinander reagieren und expandieren.
Zwar nicht als konkretes Ziel, immerhin aber als Erforschung und tiefe Aufmerksamkeit gegenüber dem, was innerhalb passiert und als Reflexion entsteht, wenn man über das Instrument und seine Umgebung sinnt.
Biografie
geboren 1972 in São Paulo, lebt und arbeitet in Wien
Selected Solo Exhibitions
2024
Nós - Arte e Ciência por Mulheres, SESC Interlagos, São Paulo
Breath Pieces (Part II), ifa-Galerie, Berlin
2023
Atem-Stücke, ifa-Galerie, Stuttgart
2021
Corpos de Phonosophia, Residência Belojardim, Pernambuco
Phonosophia, Georg Kargl BOX, Wien
2018
Phonosophia, Goethe Institut - na Vila Itororó, São Paulo
2015
Glory Hole, São Paulo
2013
Earth’s Earth, Eleven Rivington Gallery, New York, USA
2012
When 2+2=0, Die Raum, Berlin
Green-Dyed Vulture, HICA-Highland Institute of Contemporary Art, Achnabat, Inverness
Darvaza, Casa Triângulo, São Paulo
Charting Revolution, Centro Cultural Montehermoso, Vitoria-Gasteiz
2011
Rescue Submarine Signal, Die Raum, Berlin
Gabion, Centro Universitário Maria Antonia, São Paulo
2009
Nucleation, Casa Triângulo, São Paulo
2007
Rescue Smoke, Paço das Artes, São Paulo
2001
The BBQ, Berlin
Selected Group Exhibitions
2024
Nós - Arte e Ciência por Mulheres, SESC Interlagos, São Paulo
My memory isn´t mine, Krupa Art Foundation, Polen
Bringing Owls from Athens, Georg Kargl BOX x Callirrhoë, Athens, Georg Kargl BOX, Wien
Body at Play, Georg Kargl BOX, Wien
2023
HARD/SOFT. Textiles and Ceramics in Contemporary Arts, MAK, Wien
Here and Now II - Vienna Sculpture 2023, Neuer Kunstverein Wien, Wien
37° Panorama da Arte Brasileira, Under the ashes, embers, Sesc, Sorocaba
We - Art and Science by women, Paco da Artes,São Paulo
Precious, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2022
trauma, dreams escape,13th Bienal do Mercosul, Porto Alegre
The devil to pay in the backlands, Neuer Kunstverein Wien, Wien
37° Panorama da Arte Brasileira, MAM, São Paulo
2021
Sorry It´s a Mess, We Just Moved In!, Lamb Gallery, London
Cybernetics of the Poor, Tabakalera, San Sebastian, Kunsthalle Wien, Wien
2019
Echos of South Atlantic, Pivô arte e pesquisa, Galeria Athena, Rio de Janeiro
Belo Monte, Pernambuco, Brasilien
2018
#elenão, LAMB Arts, London
Museu dos Futuros Possíveis, Centro Internacional de Convenções do Brasil/ SESI-Vitoria do Espírito Santo
Echos of South Atlantic, Goethe Institut, Salvador
Museu José Bonifácio, Rio de Janeiro
2017
The sky is still blue, you know…, Instituto Tomie Ohtake, São Paulo
To Seminar, BAK. basis voor actuele Kunst, Utrecht
2016
The Earth Anatomical Theatre, Teatro Vila Velha, Salvador
2015
10th Bienal do Mercosul, Porto Alegre, Brazil
Perception of art and Science, Centro Cultural Banco do Brasil, Rio de Janeiro
The garden of forking paths, Sobering Galerie, Paris
2014
3th Bienal da Bahia, MAM-Bahia e Museu de Arte Sacra, Salvador
Manifesto: poder, desejo, intervençã, Museu de Arte do Rio Grande do Sul Ado Malgoli–MARGS, Porto Alegre
Geografias da Criação, Museu de Arte do Rio Grande do Sul Ado Malgoli– MARGS, Porto Alegre
Arte e Patrimônio 2014, Paço Imperial, Rio de Janeiro
Neblina, Museu de Arte Contemporânea do Rio Grande do Sul – MACRS, Usina do Gasômetro, Porto Alegre
Janeiro, Bendana-Pinel art contemporain, Paris
2013
Arte e Design, Torre Santander, São Paulo
Reforma e reivenção, Museu de Arte da Bahia-MAMBA, Salvador
Video Selection, Galerie Joseph Tang, Paris
Correspondências, Instituto Tomie Ohtake, São Paulo
2012
Cibles, Musée de la Chasse et de la Nature, Paris
Outra generacion, Blanca Soto, Madrid
Cromomuseu. Pós-Pictorialismo no Contexto Museológico, Museu de Arte do Rio Grande do Sul Ado Malgoli– MARGS, Porto Alegre
2011
Album, Galeria Baró, São Paulo
RAW - Lustwarande’11 - 4th Edition International Sculpture Exhibition, Tilburg
2010
Multiplique Boutique, Galeria Mendes Wood, São Paulo
Editions, Casa Triângulo. São Paulo
The Great Glen Artist Airshow, Highland Institute of Contemporary Art – H I. C A, Inverness-Hire
2009
Void of Memory, Platform in KIMUSA of Platform 2009, Seoul
Scream and Listen, 7th Mercosul Biennale, Porto Alegre
2008
Open studio, Tokyo Wonder Site, Tokyo
Active Forms, Eleven Rivington Gallery, New York
Form Instability, Institute of Brazilian Architects, São Paulo
Artist links, Centro Cultural Sao Paulo, São Paulo
2007
Crystal Growth /Opening Studio, Gasworks, London
Comunismo da Forma: Som + Imagem + Tempo - Estratégia do Vídeo Musica, Galeria Vermelho, São Paulo
Video Links Brazil: na antohology of Brazilian Video Art. 1981-2005, Tate Modern, London
Living Level, Absolute Vodka-Sparte, São Paulo
2006
Convergência, Galeria Del Infinito Arte, Buenos Aires
Certamen Internacios de Artes Plasticas de Pollença, Museu de Pollença, Mallorca
Neobarroco, Galeria Leme, São Paulo
Videometry, Galeria dels Angèls, Barcelona
Vizinhos /networked art in Brazil, MuseumsQuartier, Wien
7º Salão do Mar, Casa Porto das Artes Plásticas, Vitória do Espírito Santo
Laisle entertainment – Video as Urban Condition, Paço das Artes, São Paulo
Paris é aqui, São Paulo
LATAM, Fundación Telefónica, Lima
Aderências, SESC Paulista, São Paulo
Paralela 2006, Pavilhão dos Estados, São Paulo
2005
Além da imagem, Centro Cultural Telemar, Rio de Janeiro
Prog: ME, Centro Cultural Telemar, Rio de Janeiro
El sutil Vertigo de la Imagen, Centro Cultural Parque de España, Rosário
Aderências- Mediterrâneo, SESC Paulista, São Paulo
Sex frjó egg, Woollenmaiden ProjectSpace, Reykjavik
Brief Encounter, 12 de maio de 2005, ReykjavikurAkademian, Reykavik
Portrait, Galeria Leme, São Paulo
Ocupação, Paço das Artes, São Paulo
2004
Exposição n.1, Galeria Leme, São Paulo
Fluxo de Arte Belém Contemporâneo, Museu de Arte de Belém (MABE) e Memorial dos Povos, Belém do Pará
Mostra de Video Paulista, Espaço Bananeiras, Rio de Janeiro
Cine Quintal n.1, Exo experimental, São Paulo
Framing Devices, The Agency gallery, London
Goldsmiths College Graduates 2003, Mirko Mayer Gallery, Köln
2003
Insert, Cuchifritos Essex Street Market, New York
Take me seriously, Apriori Gallery, London
Made in UK, Arch Gallery, London
Dörgicsewineart, Pántlika Borház, Budapest
2002
The island and the aeroplane, Sparwasser HQ, Berlin
X Salão de Arte de Goiá, Shopping Flamboyant, Goiania
April’s Fool, São Paulo
E(x)tra Bienal, São Paulo
2001
Chuckoo chuckoo chukoo, Auckland Art Gallery, Auckland
Lovesick, Bergens Kunstforening, Bergen
Future Perfect, Adam Street Gallery, London
Landscape Trauma in the age of scopophilia, The Gallery-Southward Park, London
Unchaperoned, Aroma Project Space, Berlin
Pandemonium Festival, Lux Cinema, London
EV+A - 25th Annual Exhibition of Visual Art, Limerick City Gallery, Limerick
Glamourhammer, Boxing Ring Samuel Becket, London
2000
Assembly, Stepney City, London
Pourquoi, Moulin de Heutrégiville, Reims
Living with a Dutch, House Project, Enlarger Road, London
Chroma, Mercado de Fuencarral, Madrid
Shotgun, Udstillingsstedet Peblinc, Kopenhagen
Cool, Elephant and Castle House project, London
Rooftopp, 17th Star & Garter mansions -Putney, London
Degree Show, Goldsmiths College of London, London
Landscape, Institut of Contemporary Art- ICA - video projection: Leicester Sq., Convent Garden e Festival Edinburgh
non stop opening, Galeria Zé dos Bois, Lissabon
1999
non stop opening, Central Point Gallery, London
1996
Novíssimos, Galeria Fotótica, São Paulo
Anfrage
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