Liddy Scheffknecht
Bewegter Stillstand
Mediale Hybride von Liddy Scheffknecht
Stillstand und Bewegung sind zwei Charakteristika, die in Bezug auf Fotografie zumeist als Widersprüche gehandelt werden. Als Schnitt durch Raum und Zeit fixiert das fotografische Medium nicht nur einen Augenblick, sondern setzt diesen auch statisch und dauernd in ein Bild. Fotografie „balsamiert die Zeit ein“, lautet dementsprechend die bis heute wohl berühmteste Beschreibung dieses Phänomens, mit welcher André Bazin ihren Unterschied zu einem anderen Medium verstanden wissen wollte: dem Film. So geht das filmische Medium bekanntlich insofern über die Fotografie hinaus, als es dieser jene Elemente hinzufügt, die ihre Grenzen definieren: die Darstellung eines zeitlichen Ablaufes durch Bewegung.
Auf den ersten Blick entspricht Liddy Scheffknechts Werk 7 minutes 13 seconds klar fotografischen Charakteristika: Statisch, immobil und „dauernd“ in Szene gesetzt hantiert ein Fotograf vor einer Hauswand an dem Auslöser einer auf einem Stativ angebrachten Stereokamera. Das Foto stammt hierbei nicht von der Künstlerin selbst, sondern ist das Bildprodukt eine/s/r anonymen Fotograf/en/in, das von Scheffknecht appropriiert, vergrößert und neu kontextualisiert wurde. Die diskursive Strategie medialer Aneignung dient der Visualisierung der genannten Unterschiede zwischen Fotografie und Film. Dies wird konkret durch ein elementares Bildmotiv sichtbar: Auf das Foto wird präzise das Video eines Schattens projiziert, dessen Referent scheinbar der abgelichtete Fotograf ist. Der Schatten weist hierbei ein wichtiges Charakteristikum auf, das über das fotografische Medium hinausgeht: Bewegung. Langsam wandert er über das Bild und visualisiert durch die Veränderung seiner Form nicht nur einen zeitlichen Ablauf, sondern vermengt Fotografie und Film. Mit eben dieser Überlagerung zweier Bildebenen generiert Scheffknecht einen medialen Hybriden, wobei die Grenzen der beiden Medien ebenso durchbrochen wie transparent visualisiert werden. Die Semantik des Bildes muss dementsprechend in der Differenz zwischen den beiden Medien gesucht werden.
Dieses komplexe Verhältnis wird auf ähnliche Weise in Scheffknechts Fotoserie 6 minutes 38 seconds thematisiert. Die mehrteilige Fotoserie zeigt einen Radrennfahrer, dessen dynamische Bewegung über das verschwommen abgelichtete Publikum suggeriert wird, während er selbst scharf und statuarisch in der Bildmitte „gefroren“ scheint. Die zeitlich punktuelle Aufnahme des Radfahrers, die im Bruchteil einer Sekunde einem Bewegungsablauf entrissen und im Foto fixiert wurde, wiederholt sich in allen Fotos der Serie. Die Bildserie, eigentlich bekanntes Stilmittel, um über eine Abfolge von Bildern zeitliche Veränderung und damit (filmische) Bewegung zu suggerieren, gestaltet sich dementsprechend ambivalent. Nicht der Radrennfahrer verändert seine Position, sondern das scheinbar sekundäre Bildmotiv des Schlagschattens. Im Gegensatz zum Abbild des Sportlers lässt sich dieser in jedem der Bilder in einer anderen Gestalt wiederfinden und evoziert damit fortlaufende Bewegung. Der Kontrast zwischen der Statik und der veränderten Form des Schattens verdeutlicht einen „Bruch“ bzw. eine „Differenz“ zwischen zwei Bildebenen, die wiederum einen medialen Hybriden aus Foto und Film erzeugt. Über diesen rein medientheoretischen Aspekt hinaus lässt sich hiermit auch der Schatten als elementares Stilmittel definieren, was pointiert auch von der bereits zuvor genannten Film/Foto Arbeit 7 minutes 13 seconds veranschaulicht wird.
Die Dialektik von Statik und Bewegung wird in der Videoprojektion auf Fotografie speziell durch die Loslösung des Schattens von seinem Referenten bzw. dem Fotografen unterstrichen. Seine kontinuierliche Formveränderung scheint auf den ersten Blick nicht nur „Abdruck“ bzw. Resultat der Gestalt des Fotografen zu sein, sondern suggeriert auch eine nicht sichtbare Lichtquelle. Dies erweist sich erst bei näherer Betrachtung als Täuschung. So lässt sich die Gestalt des Schattens nicht als schlüssige visuelle Transformation erklären, vielmehr trennt sich der Schatten aufgrund seiner eigenständigen Form aus der Kausalität von seinem Referenten und tritt damit als unabhängiger „Doppelgänger“ auf. Als einzig bewegtes Element dominiert er so die statischen Elemente und löst sich aus dem narrativen Zusammenhang.
Die „Wirklichkeitsnähe“ der Fotografie sowie der zuerst logisch anmutende Verlauf des Schattens, der letztendlich jedoch nicht schlüssig auf den Fotografen rückgeführt werden kann, lässt Scheffknechts Werk ins Unheimlich-Surreale umschlagen.
Wenn nun abschließend in Scheffknechts Bild eine Silhouette erscheint, die im Foto selbst keine Referenz mehr besitzt, inkludiert sie eine weitere Instanz, auf die sich auch die Kamera des abgelichteten Fotografen richtet: den/die Betrachter/in. Als wahrnehmende Instanz ist er/sie damit tatsächlich ins Bild eingeschriebener Mittelpunkt zwischen Vorbild und Abbild, Reproduktion und Konstruktion, genauso wie zwischen fotografischer „Wirklichkeit“ und filmischer Reinszenierung.
Text: Walter Moser
Biografie
geboren 1980 in Dornbirn/AT; lebt und arbeitet in Wien
Ausgewählte Einzelausstellungen
2023
Broken Flowers, Korridor, Wien
2021
nine to five, Kunstraum Weikendorf, Weikendorf
2020
Dimensions, Sehsaal, Wien
pictorial space, Schauraum Quartier21, Wien
2018
points in time, Georg Kargl BOX, Wien
mirage, Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz
2016
dream argument, Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Solar days, Remise Bludenz, Bludenz
sciography, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2015
shift, Galerie der Stadt Wels, Wels
2013
spot, Sotheby’s Artist Quarterly, Wien
2012
eleven minutes twenty seconds, Kunsthaus Graz, Graz
sence, Ex-Garage, Maribor
2011
Georg Kargl BOX, Wien
Bubblegums, The Outside Gallery Window, Mailand
2008
Take Aways, Galerie Wilma Lock, St. Gallen
whiteout, Galerie Jeune Création, Paris
2006
scaffoldings, The Outside Gallery Window, Mailand
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2022
The Fest, MAK, Wien
2021
Heimspiel, Kunstraum Dornbirn, Dornbirn
25 Jahre Kunstforum Montafon, Kunstforum Montafon, Vorarlberg
Sammlung König-Lebschik,KUB Sammlungsschaufenster, Bregenz
Auf eigene Gefahr, Vorarlberg Museum, Bregenz
Solar Habitat, Lindabrunn
Unerkannnt, Bekannt, Kunstmuseum Appenzell, Appenzell
2020
Would You Be Available…, Georg Kargl Permanent, Wien
Borderland, Fotogalerie Wien, Wien
Attempt at Rapprochement, Georg Kargl Fine Arts, Wien
fake & fragment, Sehsaal, Wien
Now. Collected #9/#10, Bank Austria Kunstforum, Wien
minus 20 degrees, Festival for Art and Architecture, Flachau
2018
Plinque Projéction II, Cité Internationale des Arts Paris, Paris
Heimspiel 2018, Kunstmuseum Appenzell, Appenzell (CH)
A Recollection of Resonances, bb15’s 10-Year Anniversary Exhibition, bb15 - Raum für Gegenwartskunst, Linz
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
Reduction, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
2017
Plex Noir, Atelier Van Lieshout, Atisuffix, Manfred Erjautz, Werner Reiterer, Liddy Scheffknecht, Johannes Vogl, Kunst im öffentlichen Raum, Graz
2016
dream argument, Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Hybrid (...) Scapes, Nida Art Colony, Nida
FILTER, Kunstforum Montafon, Schruns
2015
Transparency, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Landscape: Transformations of an Idea – Art of the 1800 to the Present day from the Collection of the Neue Galerie Graz, Neue Galerie Graz, Graz
Random thoughts of a daily light, das weisse haus, Wien
Schneesalon, Georg Kargl BOX, Wien
(O)budowa, Liddy Scheffknecht, Jan Mioduszewski, Austrian Cultural Forum Warschau, Warschau
2014
Blow-Up, Albertina, Wien
côte intérieur, Kunstpavillon, Innsbruck
Inattentional Blindness, Galerie Zilberman, Istanbul
2013
Phantoms & Ghosts, das weisse haus, Wien
The Intransigent Ticket - The Artist as a Filter, CSULA Fine Arts Gallery, Los Angeles
PLI SELON PLI, Galerie 22,48m², Paris
ELASTIC VIDEO, Kunstraum Niederösterreich, Wien
2012
/TILT/, Liddy Scheffknecht, Armin B. Wagner, Zentralkunstgarage, Lustenau
Parcours, Claudia Larcher/ Liddy Scheffknecht, Galerie Stephanie Hollenstein Lustenau
4. Internationale Sinop Biennale, Sinop
Genius loci, Kulturpolis, Klaipéda
The Digital Uncanny, Edith – Ruß – Haus for Media Art, Oldenburg
2011
This is Happening II, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Donetsk goes Contemporary, Art Point Donetsk, Donetsk
Space Odyssey, Künstlervereinigung Maerz, Linz
Meet everyone at once, start an artist-run-space, Ogms, Sofia
Kaleidoskop, In der Kubatur des Kabinetts - der kunstsalon im fluc, Fluc, Wien
Elastic Video, Tokyo Wonder Site Hongo, Tokio
2010
HAPPY HOUR, In der Kubatur des Kabinetts - der kunstsalon im fluc, Fluc, Wien
Qui vive, 2nd Moscow International Biennale for Young Art, Artplay Design Center, Moskau
Matthias Garnitschnig, Claudia Larcher, Liddy Scheffknecht, c-Art, Dornbirn
Austria la vista, baby, The Art Foundation, Athens
Petit Plinque, Transforming Freedom, Museumquartier, Wien
Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Bernd Oppl, Liddy Scheffknecht, bb 15, Linz
WIR WOHNEN, Kunstraum Niederösterreich, Wien
2009
Plinque Projéction, Cité Internationale des Arts, Paris
Biennale of Young Artists of Europe and the Mediterranean, Nacionalna Galerija - Mala Stanica, Skopje
2008
Jeune Création 2008, Parc de la Villette, Espace Charlie Parker, Paris
GAMES. Kunst und Politik der Spiele, Kunsthalle Wien project space, Wien
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