Rafal Bujnowski
Portraits
Abstrakte Kunst wurde aus der Nacht geboren. Der Funke, der eine künstlerische Revolution entzündete, war das Spiel zwischen Dunkelheit und Licht, das nach Einbruch der Nacht auftritt. „Durch die Verwendung des Wortes ‚Nocturne‘ wollte ich alleinig auf ein künstlerisches Interesse hinweisen. Das Bild von jedem äußeren anekdotischen Interesse befreien (…) Ein Nocturne ist vor allem eine Anordnung von Linie, Form und Farbe“ – diese Worte von James McNeill Whistler aus dem berühmten Gerichtsstreit gegen John Ruskin gelten weithin als die erste Konzeptualisierung gegenstandsloser Kunst. Von dem populären viktorianischen Kritiker Ruskin wurden Whistlers Nachtlandschaft -ein durch Feuerwerkkörper beleuchteter Park- als „Farbtopf, der dem Publikum ins Gesicht geschleudert wird“ herabgewürdigt. Der vermeintlich zufällige Charakter der Pinselstriche ließ es für ihn zu nichts anderem als einem Fleck, verschwendetem Künstlerbedarfs, werden. Der amerikanische Maler widersetzte sich im Gerichtssaal leidenschaftlich dieser Ansicht und präsentierte seine künstlerische Methode ähnlich zu der eines Komponisten, der akribisch Töne arrangiert.
Als konzeptueller Maler, der sein Medium und dessen Innenleben untersucht, liebt es Bujnowski, „alte“ Fragen zu stellen und neue Antworten zu finden. Er hat ein Faible für beides, Whistler (Whistler´s Mother painting, 2002) und das „Nocturne“-Genre, das er so bezeichnet und für geraume Zeit auch verfocht. In seinen Dusk. Video Paintings (2004) übermalt er eine Landschaft, bis sie sich in eine monochromatische schwarze Abstraktion verwandelt. Sie können als einfache Whistlersche Lektion gesehen werden, wie sich die figurative Ordnung der Dinge jeden Abend in Luft auflöst. Die Spannung zwischen Figuration und Abstraktion ist in Bujnowskis Arbeiten immer präsent, wobei besonderes Augenmerk auf die Rolle der verschiedenen Lichtquellen in diesem Zustand gelegt wird. In Landscapes (2010), Nocturne – Graboszyce (2012) und den jüngsten Arbeiten American Night Series (2022) untersucht er, wie echtes und „falsches“ (filmisches) Mondlicht wirken kann. In Arsonists (2013) zeichnet er strenge, vom Feuer beleuchtete menschliche Silhouetten mit einer einzigen Kreidelinie auf eine Tafel. Schlussendlich gelangt er in Standby Computer (2021) und Portraits (2019) zu der für unser Jahrhundert emblematischen Quelle, das künstliche Licht vom Bildschirm mobiler Geräte.
Doch anders als sein amerikanischer Ahne bekennt sich Bujnowski zur Zufälligkeit und Materialität und macht beides zu Leitprinzipien seiner Kunst. Portraits sind das perfekte Beispiel, wie sich ein Thema aus dem Material herleiten lässt. In der Serie dieser intimen Arbeiten, die mit dick aufgetragenen, reliefartigen, pastosen Strichen gemalt sind, folgt er den Qualitäten der Werkzeuge: einem breiten Pinsel und seine Lieblingsfarbe Lamp Black, sowie die Art und Weise, wie sie mit externen Lichtquellen im Ausstellungsraum interagieren. Dabei entstehen visuelle Assoziationen – sowohl für den Künstler als auch für den Betrachter. Frauenköpfe im Licht eines Smartphone-Bildschirms sind in diesen eleganten abstrakten Formen zu sehen, und können mit dem Phänomen der menschlichen Wahrnehmung in Verbindung gebracht werden, das als Pareidolie bekannt ist. Es lässt Menschen auch in zufälligen abstrakten Formen wie Wolken oder Flecken nach Darstellungen suchen. Befinden wir uns in der Dunkelheit, macht unser Sehvermögen genau das Gleiche – es ringt darum, vertraute Objekte zu erkennen, damit wir uns sicher fühlen. Der einzige Unterschied zwischen viktorianischen und zeitgenössischen Nachtschwärmern könnte daher die Leichtigkeit des Wechsels zwischen zwei Wahrnehmungsmodi sein. Mit dem kalten Licht eines Handys, das immer zur Hand ist.
Zofia Czartoryska
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