Wolfgang Plöger
Im Zuge der voranschreitenden Medialisierung des Alltags durch Film und Fernsehen kam es im Laufe der 60er und 70erjahre zur kritischen Auseinandersetzung mit bisher gültigen Wahrnehmungsbedingungen. Traditionelle filmische Projektionen und Anordnungen erfuhren eine Infragestellung und Erweiterung ihrer Grenzen. Künstler verlagerten ihren Fokus weg vom projizierten Objekt und narrativer Filmstrukturen hin zu Untersuchungen der Konstruktion medial vermittelter Bilder und dem Verhältnis des ihn umgebenden physischen Raums und perzeptiver und kognitiver Mechanismen. Die Ausformulierungen der sogenannten „Expanded Cinema“ Bestrebungen fielen äußerst heterogen aus und reichten von bewusstseinserweiternden Happenings, Performances und Environments im Rahmen von Filmfestivals und Multimedia-Shows zu Installationen, Mehrfachprojektionen und Film- und Videoinstallationen in Galerie-und Museumsräumen mit medienanalytischen und institutionskritischen Ansätzen. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Bereichen waren lebendig und vielschichtig und müssen vor dem Hintergrund der „Expanded Arts“- Bewegungen der Zeit betrachtet werden, die sich nicht nur hinsichtlich der Durchmischung von künstlerischen Medien wie Malerei, Skulptur, Installation oder Fotografie sondern auch hinsichtlich der künstlerischen Sparten wie Musik, Theater, Tanz oder Filmkunst äußerten. Gemein war den gattungsübergreifenden Aktivitäten von Filmemachern, Musikern, Tänzern und bildenden Künstlern ihr Interesse an der Untersuchung des Verhältnisses von realem und imaginären Raum und die Aufbrechung der im klassischen Kino repräsentierten Ordnung von der Isolierung des Betrachters und der fixen Festschreibung seines Blicks zugunsten partizipatorischer Wahrnehmungsmodelle. Mit der Überwindung tradierter audiovisueller Film- und Vermittlungsformen wurde der Betrachter selbst Teil kinematografischer Projektionsanordnungen, in der er sich selbst als Akteur erleben konnte und dessen zeitlich wie räumliche Wahrnehmung sich nicht mehr anhand vorgegebner Ordnungs- und Begrenzungsmechanismen sondern selbstbestimmt strukturierte.
Mit seiner filmischen Installation in der Georg Kargl BOX reflektiert der deutsche Künstler Wolfgang Plöger die Entwicklungen und Auseinandersetzungen des „Expanded Cinemas“, dessen kritische Hinterfragung von der Beziehung des medialen Bildes und des physischen Raums sowie dessen Offenlegung instabiler räumlicher wie zeitlicher Parameter gerade heute wieder Aktualität besitzt. Durch die voranschreitende Entwicklung von immer neuen Informationstechnologien und der zunehmenden Digitalisierung des Alltags kam es zur Veränderung aber auch zur Entfremdung von Wahrnehmungs- und Kommunikationsstrukturen. Eine anonyme Masse hat Anteil an kollektiven Informationsproduktionsprozessen, deren Inhalt immer schneller und unabhängig von Zeit und Ort abgerufen werden können. Der „beschleunigte Betrachter“(1) den Vilém Flusser bereits zu einer Zeit konstatierte, als die Computertechnologie und das Internet im Vergleich zum heutigen technologischen Standard noch in den Kinderschuhen steckte, hat angesichts der täglichen Bilder, Video- und Informationsflut gelernt, Bilder, Informationen und Bildsequenzen immer schneller zu erfassen und zuzuordnen. Gleichzeitig ist der heutige Betrachter an das ständige und rasche Herumspringen der Aufmerksamkeit und der teilweise erschreckenden Unverbindlichkeit und Unempfindlichkeit medial vermittelter Bilder gewohnt, die grundsätzlich als wandel- und manipulierbar begriffen werden. Wolfgang Plöger entstammt einer Generation, die sowohl mit dem Selbstverständnis eines erweiternden Kunstbegriffs und der damit einhergehenden Aufweichung bestehender Gattungsgrenzen als auch mit dem eines mediatisierten Alltags aufgewachsen ist. Wenn er in seiner mehrteiligen Filminstallation auf historisch anmutenden Super8-Projektoren und mit zeichnerischen Mitteln hergestellten Animationsfilm zurückgreift, erfolgt es nicht mehr im Bestreben der 60/70er Jahre neue Wahrnehmungsstrukturen zu erproben, sondern kann geradezu als Folge damaliger künstlerischer Intervention und technischen Entwicklung gesehen werden. Wenn Plöger technische Apparaturen sichtbar im Raum positioniert und die Filmschleifen frei durch seine Projektionsanordnung führt passiert dies nicht so sehr im Bestreben sich in den Kontext des strukturellen Films und der Konzeptkunst zu stellen, die in einem aufklärerischen Gestus Wirkungsweisen und Mechanismen von Film- und Videoprojektion offen legen wollten, sondern auch aufgrund einer Hinterfragung eines von Digitalisierung bestimmten Alltags, der sich immer mehr als eine sich selbst entfremdete Realität konstituiert.
Plögers filmische Installation bewegt sich zwischen Skulptur, Malerei und Film, zwischen stehenden und bewegten Bildern, zwischen realen Objekten im physischen Raum und fiktiven Objekten im illusionistischen Raum. Der leicht bewegte Schattenwurf der durch den Raum geführten Filmschleifen spannt einen illusionistischen Zwischenraum auf der selbst ständiger Veränderung unterworfen ist und mit den projizierten Zeichnungen von in Raumecken gestellten Lichtkegeln sowie der Architektur des Galerieraums korrespondiert. Der Künstler bemüht sich dem Betrachter die Materialität des Raumes spürbar zu machen, ihn für jenes Dazwischen von realen und imaginierten Raum zu sensibilisieren, der sich bei jeder Modifikation der Lichtquelle oder Bewegung des Betrachters verändert, auflöst und zugleich wieder neu konstruiert. Er erweitert Raum und dessen Wahrnehmung, ohne ihn zu verdecken oder einzunehmen. Fred Sandback sprach in Bezug auf seine minimalistischen Fadenskulpturen, die durch Schattenwurf ein imaginäres Volumen bei gleichzeitiger Reduzierung eines Körpers im Raum auf seine grafische Substanz aufgespannten vom „fußgängerischen Raum“(2), jenem Raum, der erst durch den mobilen, partizipatorischen Betrachter über einen selbstbestimmten Zeitraum konstituiert und verhandelt wird. Ähnliche Wahrnehmungsmechanismen setzen auch im Begehen von Plögers filmischer Installation ein, wenngleich auch erst in einer zweiten Reflexionsphase. Erfolgt die Anpassung des Blickes bei Sandback langsam und nicht unmittelbar und geht stets das Gefühl der „Leere“ des Raums der Wahrnehmung des Werkes voraus, steht bei Plöger die Faszination für die Determinanten medialer Bildproduktion, für ratternde Projektoren, den Filmstreifen, Licht und Bewegung der Wahrnehmung für die dynamische Veränderung physisch gegebenen Raums.
Text / Curator: Fiona Liewehr
(1) Vilém Flusser, Das Universum der technischen Bilder, Göttingen 1992, S. 47
(2) Fred Sandback, „Bemerkungen“, in: Fred Sandback, Friedemann Malsch, Christiane Meyer-Stoll (Hrsg.), Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2005, S. 92-93
Anfrage
Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht hier