Erwin Thorn
approaching Space test
Die Pluralität des Verhaltens zum Raum ist ein wesentliches Thema im Werk von Erwin Thorn – das Verhalten der Arbeiten im Raum, ihre Beziehung zum Umraum, aber auch das Verhalten der Betrachtenden zu ihnen. Seine plastischen Bildkörper fordern eine Positionierung im wörtlichen wie übertragenen Sinn, denn Raum war für Thorn stets eine Sphäre des Sozialen. Auch als Adjektiv lässt sich das Wort „verhalten“ lesen: Thorns Werke behaupten eine unmittelbare Präsenz, ohne sich aufzudrängen. Sie beschränken sich auf ein Minimum an Ausdrucksmitteln und entfalten gerade in der Reduktion eine sinnlich-abstrakte Intensität, die den Raum als Bezugsgröße dynamisiert und das Verhältnis von Zentrum und Peripherie verschiebt.
Geboren 1930 in Wien, überlebte Erwin Thorn die Zeit des Nationalsozialismus in Palästina. In den 1950er-Jahren studierte er an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, nahm auf Einladung von Lucio Fontana an internationalen Ausstellungen mit den Protagonisten der ZERO-Bewegung teil und hatte 1969 und 1972 Einzelpräsentationen in der Galerie nächst St. Stephan, eine der wichtigsten Adressen des damaligen österreichischen Kunstdiskurses, sowie 1979 in der Modern Art Galerie von Grita Insam. Mit seiner puristischen Bildsprache, der Dekonstruktion des tradierten Bildträgers und dessen biomorpher Expansion in den Raum verortete er sich klar in der europäischen Nachkriegsavantgarde. Und doch ziehen sich durch dieses Werk Konstanten, die sich von jenen internationalen Tendenzen, denen sich Thorns Arbeiten vordergründig zuordnen lassen, unterscheiden. Das Analytische verbindet sich mit dem Spielerischen, die abstrakte Form lädt sich auf mit gesellschaftskritischen, auch politischen Konnotationen, Konzeptuelles lässt Raum für feine Ironie. Die Farbe Weiß bedeutet für Thorn metaphysische Klarheit, markiert aber auch den Neubeginn einer vom historischen Kanon befreiten Kunst, die ihre eigene visuelle Grammatik und poetische Sprache entwickelt. Konkave und konvexe Wölbungen auf Scheiben und Bildobjekten oder zarte farbige Kreisformen auf frühen Malereien und Monotypien wirken wie intime Körperfragmente, so wie es in seinem ganzen Oeuvre eine ausgeprägte Beziehung zum Körperhaften gibt.
Der Übergang von der ZERO-Ästhetik, die Thorns Werke aus den 1960er-Jahren noch prägt, zu postkonzeptuellen, den Raum als Architektur reflektierenden Arbeiten vollzieht sich in einem stufenweisen Prozess, der ein über die Jahre entwickeltes bildräumliches Vokabular aktiviert. Modulationen des Lichts, wenige Farbimpulse, die Interaktion der autonomen Bildfläche mit dem Raum, die Verlagerung zur amorphen Form und sinnlich-taktile Materialien sind von Beginn an Teil dieser künstlerischen Sprache.
Weiße Bilder laden sich auf mit der produktiven Kraft der Negation und den Narrativen des Nichts. Strukturbilder treffen auf plastische Objekte mit bildhaftem Relief. Rahmen werden dekonstruiert, sodass die Leinwand in den Raum ausgreifen kann. Ihre Oberfläche wird zur atmenden Membran, während sich das Ereignis vom Bild zum Rand verlagert. Oder das Werk löst sich von der Wand und wird zur schwebenden Scheibe. Später befreit es Thorn gänzlich aus seinem Objektstatus und entgrenzt es in die Architektur. Cancan (1968/69) aus schwarzem Eisenblech thront wie ein Baldachin über dem Türrahmen, Untitled (1979) aus Leinwand mit Kunstfell schmiegt sich in die Ecke wie eine Nische für eine Heiligenfigur. Das konservative Bild der Gottebenbildlichkeit des Menschen als ideologischer Überbau des Strebens nach Prestige und Macht beherrschte für Thorn das soziale Gefüge bis in die Gegenwart. Den Podest ließ er deshalb amorph in den Raum fließen. Auch mied er alles Monumentale, denn die Überhöhung des Künstlersubjekts war ihm suspekt. Hierarchien und Machtgefälle im Patriarchat wie in Kunst und Gesellschaft persiflierte Thorn in klassisch-antiken Säulen, die zu schmelzen scheinen.
Das Erleben des Werks in der situationsspezifischen Betrachtung blieb jedoch eine Konstante in diesem außergewöhnlichen Oeuvre, das die Kunst aus den Konventionen der Zeit befreite, um ihr zeitlose Resonanz zu verleihen. In einer Notiz, die Thorns Affinität zur Linguistik und Poesie unterstreicht, stellt er dem „Verhalten zum Raum“ zwei weitere Begriffe zur Seite: das Androgyne und die Metamorphose, letztere in Silben zerlegt und mit einem zusätzlichen „a“ versehen: meta – a – morphose. Die Transformation verbindet sich mit dem Amorphen, die Metaebene wird Teil des Begriffs, und der Zwischenraum betont das Potenzial dessen, was sich der Eindeutigkeit entzieht. In diesem Sinne situieren sich Thorns Werke jenseits klassischer Dichotomien in einer Sphäre des Fluiden und Transitiven. Sie eignen sich den Raum an und präsentieren sich als Gestalt, deren Zustand sich stets wandelt. Plural in ihrer Erscheinung, ermöglichen sie einen imaginativen Zugang zu dem von ihnen aufgespannten Erfahrungsraum.
Vanessa Joan Müller
Biografie
1930 - Wien - 2012
Ausgewählte Einzelausstellungen
2024
approaching space - androgynous, approaching space - meta-a-morphosis, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2010
Apropos Blei, in Anbetracht der Wörter, die Beredsamkeit der Folie, Georg Kargl Permanent, Wien
2008
Erwin Thon, Georg Kargl Box, Wien
1979
Arbeiten 1959-1979 und work in progress - Dokumentation, Modern Art Galerie, Wien
1972
Spiele Spielen, Galerie nächst St. Stephan, Wien
1971
WEISS, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien
1970
Galerie im Taxispalais, Innsbruck
1969
Galerie nächst St. Stephan, Wien
1967
Österreichisches Kulturforum, Rom
1964
Galerie Wulfengasse 14, Klagenfurt
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2024
Blind Date - Die Sammlung Maximilian und Agathe Weishaupt im Dialog mit der Sammlung Liaunig, Museum Liaunig, Neuhaus
Pop Art, The Bright Side of Life, Albertina Klosterneuburg, Klosterneuburg
Vom Faden zur Form, Kunthaus Dahlem, Berlin
2023
Schau! Die Belvedere Sammlung von Cranach bis EXPORT, Belvedere, Wien
2022
Lost in Space, Raum, Ding und Figur – Entwicklungen innerhalb der Skulptur seit 1945, Museum Liaunig, Neuhaus/Suha
2021
Avantgarde und Gegenwart. Die Sammlung Belvedere von Lassnig bis Knebl, Belvedere 21, Wien
2020
The Beginning. Kunst in Österreich 1945 - 1980, Albertina Modern, Wien
2019
Alfred Schmeller. Das Museum als Unruheherd, mumok, Wien
2018
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
Umrahmung schräg gekippt. Sammlung Liaunig in Bewegung, Museum Liaunig, Neuhaus
Reduction, Gesellschaft für Projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
2017
Ästhetik der Veränderung. 150 Jahre Universität für angewandte Kunst Wien, MAK, Wien
European Abstraction from the 1960’s & 1970’s, Stellan Holm Gallery, New York
2016
Carol Bove meets ZERO, Galerie Koch, Hannover
2015
Zero. Positionen, Galerie Koch, Hannover
2014
Impulse, Reason, Sense, Conflict, CIFO – Cisneros Fontanals Art Foundation, Miami
Texte in der Kunst, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2013
Zero Avantgards 1965 – 2013, Galleria Christian Stein, Mailand
2012
1964, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2010
High Ideals & Crazy Dreams-Groupshow, curated by Gerwald Rockenschaub, Galerie Vera Munro, Hamburg
Personal Structures. Time – Space – Existence, Künstlerhaus Palais Thun und Taxis, Bregenz
Personal Structures. Time – Space – Existence, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2009
Feedbackstage, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Feedbackstage, Galerie Thomas Schulte, Berlin
2001
Farbenlust und Formgedanken. Abstrakte Wege in Österreich 1900-2000, Heiligenkreuzerhof, Wien
2000
Farbenlust und Formgedanke. Abstrakte Wege in Österreich 1900-2000, Frauenbad, Baden bei Wien
1996
Die 60er Jahre oder als alles möglich wurde. Kunst und Kultur in Österreich 1960-1970, Schloß Herberstein, St. Johann bei Herberstein
1984
1984 - Orwell und die Gegenwart, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien
1971
Aquarelle - Druckgraphik - Handzeichungngen - Plastik, Galerie Krinzinger, Bregenz
1970
Nebenprodukte, Galerie nächst St. Stephan, Wien
Österreichische Kunst 1979, Schloß Eggenberg, Graz
1969
Hommage an das Schweigen, Tiroler Kunstpavillon, Innsbruck
Surrealismus ohne Surrealisten - Künstler ohne Kunst, Galerie nächst St. Stephan, Wien
Surrealismus ohne Surrealisten - Künstler ohne Kunst, Galerie im Taxispalais, Innsbruck
1968
Werke der III. Internationale Malerwoche, Neue Galerie Joanneum, Graz
Neue Dimensionen der Plastik in Österreich, Galerie Taxispalais, Innsbruck
Plastiken und Objekte, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien
Symposium, Retzhof
1966
Zero avantgarde 1966, Galleria associazione Zen, Brescia
Zero avantgarde 1966, Il Segno, Rom
Konfrontation 66, Galerie Heide Hildebrand, Klagenfurt
1965
Bischoffshausen, Hartlauer, Prantl, Thorn, Forum Stadtpark, Graz
Zero avantgarde 1965, Atelier di Fontana, Mailand
Zero avantgarde 1965, Galleria del Cavallino, Venedig
Zero avantgarde 1965, Galleria il Punto, Turin
Aspekten van een nieuwe Konseptiez, Galerie 20, Arnhem
Biennale nova tendencija III, Gallery of Contemporary Art, Museum of Arts and Crafts, Zagreb
1964
Biennale Art Sacre, Paris
1962
Symposion Europäischer Bildhauer – Kleinplastiken, Galerie im Griechenbeisl, Wien
1960
International Biennal of Prints, Cincinnati Art Museum, Cincinnati (OH)
Sommerausstellung, Galerie im Griechenbeisl, Wien
Galerie Junge Generation, Wien
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