Bernhard Leitner
EARSPACEBODYSOUND
„Ich höre mit dem Knie besser als mit der Wade“, jene zunächst absurd anmutende Aussage Bernhard Leitners erklärt sich aus seinem bis heute mit ungebrochener Leidenschaft und Akribie verfolgten Interesse: die Untersuchung der Beziehung zwischen Klang-Raum-Körper. Seit Ende der 1960er Jahre arbeitet Bernhard Leitner im Grenzbereich von Architektur, Skulptur und Musik, wobei er Klänge als konstruktives Material begreift, als architektonische Elemente, die einen Raum erst entstehen lassen. Töne bewegen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch den Raum, steigen auf und ab, schwingen hin und her und spannen innerhalb der statischen Grenzen des architektonischen Rahmens dynamische, sich ständig verändernde Raumkörper auf. Es entstehen eigenständige Räume, die sich visuell nicht festmachen lassen und nicht von außen überblickt werden können, hörbare, mit dem ganzen Körper spürbare, innere Räume. Leitner spricht von „körperhaftem“ Hören, demgemäß die akustische Wahrnehmung nicht nur über die Ohren sondern über den ganzen Körper erfolgt, wobei jeder Körperteil unterschiedlich gut „hört“.
Bernhard Leitner gilt als Pionier einer Kunstform, die grob umrissen als „Klanginstallation“ bezeichnet wird. Er hat den Klang als Erster in den Installationsraum eingeführt, beziehungsweise lässt er diesen erst durch den Klang entstehen. Leitner, der eigentlich Architektur studiert hat, war seit Beginn seiner künstlerischen Karriere Visionär. Seine von ihm selbst als “Ton-Raum-Objekte” bezeichneten Skulpturen und Installationen sind Ergebnis eines langen, komplexen Entwicklungsprozesses. In sauber geführten Skizzen und Arbeitsbüchern nähert er sich den plastisch architektonischen Qualitäten des Klanges zunächst rein theoretisch an. Er betreibt gleichsam wissenschaftliche Grundlagenforschung, indem er Frequenzbereiche, Lautstärken, Bewegungsgeschwindigkeiten und Kombinationen von Tönen und deren Auswirkungen auf den Körper untersucht, skizziert mögliche Raumfiguren, wie Kuben, Gänge, Felder, Röhren, und studiert die Auswirkung der Körperhaltung auf die akustische Wahrnehmung. Anfang der siebziger Jahre zieht Leitner nach New York und beginnt in seinem Atelier in der 17th White Street seine Ton-Raum-Untersuchungen konkret umzusetzen. Er erarbeitet Mehrkanaltonkompositionen aus nicht musikalisch konzipierten Klangaufnahmen, aus denen er spezifisches Tonmaterial extrahiert und zu werkspezifischen Tonabfolgen montiert, die er mittels eigens entwickelter visueller Codes aus Buchstabenkombinationen auf Papierrollen notiert und auf Lochstreifen überträgt. Es entstehen temporäre Installationen aus Holzlatten, auf denen Lautsprecher in unterschiedlichen geometrischen Anordnungen angebracht sind, deren individuelle Bespielung über ein gemeinsam mit einem Techniker entwickeltes Steuerungs- und Schaltgerät funktioniert, da dies nach dem damaligen Stand der Technik mit marktüblichen Geräten noch nicht möglich war. So gelingt es Leitner erstmals, Töne und Tonfolgen in verschiedenartige, exakt geführte Bewegungsabläufe zu versetzen, die „Raummodelle in einer unsichtbaren (neuen) Geometrie“[1] erschaffen. Die visuelle Ausformulierung der Leitnerschen Installationen lassen sich - wie Boris Groys darlegte - in der Tradition der minimalistischen Ästhetik der New Yorker 70er Jahre lesen. Es finden sich Anklänge an Richard Serra, Carl Andre oder Donald Judd, wenngleich die reduzierte und strenge Formensprache bei Bernhard Leitner einen neuen Funktionszusammenhang eingeht, die „der Verschiebung der Aufmerksamkeit von der visuellen zur klanglichen Ebene der Installation“[2] dient. In dem Moment nämlich, in dem der Besucher nicht durch visuelle Reize unnötig abgelenkt wird, erhöht sich automatisch die akustische Aufmerksamkeit.
Bernhard Leitners Ausstellung EARSPACEBODYSOUND bei Georg Kargl Fine Arts stellt aus mehrerer Hinsicht Besonderheit und Herausforderung dar. Seit fast 10 Jahren seine erste umfangreiche Werkschau in Österreich, ist diese Ausstellung zugleich weltweit seine erste Galerieausstellung. Unabhängig und unbeeinflusst vom Kunstmarkt hat Leitner sein eigenes „Universum“, seinen eigenen Denkraum geschaffen, der international zahlreiche institutionelle Anerkennung fand. Bereits 1982 Teilnehmer an der documenta 7 in Kassel und 1986 an der Biennale in Venedig, konnte er darüber hinaus in den letzten 40 Jahren viele Klanginstallationen im öffentlichen Raum realisieren, wie 1993 das Agoraphon vor den Hamburger Deichtorhallen, den bis heute existierenden Cylindre Sonore von 1987 im Parc de la Villette in Paris oder im Jahr 2000 die Strömungen in der orthopädischen Abteilung der Baumgartner Höhe in Wien (Pavillon Felix).
Die aktuelle Ausstellung fokussiert vor allem den komplexen, mit bewundernswerter Stringenz verfolgten Entwicklungsprozess des Leitnerschen Klang-Raum-Körper-Beziehungsgeflechts. Sie versucht sowohl historische Rückschau, aktuelle Bestandsaufnahme als auch mögliches Entwicklungspotential zu skizzieren. So sind neben historischem Dokumentationsmaterial, wie Arbeits-, Notations- und Skizzenbüchern, frühe Klangskulpturen, wie der Tonanzug (1975), die Tonliege (1974/1983) oder der Tragraum(1976) zu sehen, die sich dem „modernen Prinzip des emanativen Körpers“[3] insofern besonders verschrieben haben, als der Klang durch direkt am Körper getragene Lautsprecher das gesamte vegetative Nervensystem spürbar beeinflusst und zu einer gesamtleibhaftigen Erfahrung werden lässt. Leitner steht damit in der Tradition der internationalen Avantgardebewegungen von Fluxus, Happening und Wiener Aktionismus, die den Kunstbegriff um die aktive Einbeziehung des menschlichen Körpers in den künstlerischen Kontext erweitert haben. Der passive Betrachter wird zum individuellen Akteur, zu einem mit dem Kunstwerk untrennbar verbundenen Teil, indem sich auch seine Rolle als Subjekt der Betrachtung hin zum Objekt der Betrachtung verschiebt. Während Tonanzug oder Tragraum die individuelle Bewegung des Benutzers erlauben, er den Ton also mit sich trägt und je nach Stellung oder Abstand zum umgebenden Raum durch Reflexion und Rückkoppelung auch seine individuelle Raumerfahrung aktiv mitgestaltet, weisen Installationen wie Pulsierende Stille (2004), Vertikaler Raum (1975) oder der eigens für die aktuelle Ausstellung geschaffene Klangspiegelgang (2011) dem Besucher einen eindeutigen Platz zu. Die Erfahrung der Leitnerschen Klangräume ist eine subjektive, eine einsame Angelegenheit. Gruppendynamische Kollektiverfahrungen sind zugunsten einer gleichsam meditativen, selbstversunkenen Innenschau verschoben, indem sich der Besucher der Zugehörigkeit seines eigenen Körpers zum einheitlichen Raum der Klanginstallation bewusst wird und sich die Übergänge vom „Raum-Gefühl (in der Architektur)“ hin zum „Gefühlsraum (der Musik)“[4] zu verschleifen beginnt.
Wie sehr Leitners Installationen dazu imstande sind, die Bewegungsgeschwindigkeit des Besuchers, beziehungsweise seine Rezeptionsform nicht nur zu verlangsamen und zu beruhigen, sondern sie auch zu dynamisieren, wird eindrucksvoll in seiner 48-Kanal-Komposition Serpentinata im Oberlichtsaal der Galerie vorgeführt. Durch zwei ineinander verschlungene und organisch frei im Raum aufgehängte Kunststoffschläuche, an denen je 24 Lautsprecher in regelmäßigen Abständen angebracht sind, scheint der Ton mal in knirschenden Geräuschen herabzurieseln, mal in zischenden Lauten hindurchzuschießen und verwandelt die gesamte Skulptur in einen „akustisch – schwingenden Organismus“ (B. Leitner), der fast selbst zu atmen scheint. Im Vergleich zu den reduzierten, formal asketischen Installationen, an denen Tonfolgen scheinbar geometrisch strenge Raumkörper aufzuspannen vermögen, scheint die Serpentinata wie eine heitere, lockere Raumzeichnung, die der Besucher in fast tänzelnden Bewegungen zu verfolgen sucht.
In jüngster Zeit erwecken Bernhard Leitners Ton-Raum-Körperinstallationen, die sich stets an den Grenzbereichen von Musik, Skulptur und Architektur entwickelt haben und sich jeder eindeutigen Verortung entziehen, nun auch das Interesse von Künstlern aus den darstellenden Disziplinen. Tänzer und Performer entwickeln entlang der Leitnerschen Klang Raumkörper eigene Choreographien und lassen in „raum-zeitlichen“ Performances neue Körper und Bewegungsräume entstehen. Sie lassen sich auf ein Universum ein, in dem visuelle, akustische, zeitliche und körperliche Erfahrungswelten „in-eins-fallen“ und in dem das „Im-Klang-Sein“ zu einem „In-der-Welt-Sein“[5] wird.
Text: Fiona Liewehr
[1] Catrin Pichler, Zu den Ton-Raum-Objekten von Bernhard Leitner, Geometrie der Töne, Reihe Cantz, Ostfildern 1997
[2] Boris Groys, Die Klanginstallationen von Bernhard Leitner, .P.U.L.S.E. ZKM Buch, Hatje Cantz 2008
[3] Elisabeth von Samsonov, PANAUDITION. All-Frequenz und Ganzkörperohr, Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinadeum Innsbruck, 2008
[4] Der Hörbare Raum, Gespräch von Ulrich Conrads und Bernhard Leitner, DAIDALOS 17, Berlin 1985
[5] Catrin Pichler, Zu den Ton-Raum-Objekten von Bernhard Leitner, Geometrie der Töne, Reihe Cantz, Ostfildern 1997
Biografie
geboren 1938 in Feldkirch, lebt und arbeitet in Ravelsbach-Gaindorf in der Nähe von Wien
Ausgewählte Einzelausstellungen
2020
Bernhard Leitner. Ton – Raum – Skulptur, Klangraum Krems Minoritenkirche, Krems
2019
Sound / Body / Space. Notations., Georg Kargl Fine Arts, Wien
2018
Ton-Würfel 18, Musikpavillon Hofgarten, Innsbruck
2017
Klangachsen, Kollegienkirche, Salzburg
2016
Georg Kargl BOX, Wien
TON – RAUM – SKULPTUR, Zeit Kunst Niederösterreich, St. Pölten
2015
Klangachsen, Kollegienkirche Salzburg, Salzburg
2014
30 Jahre Ton-Raum TU Berlin, TU Berlin, Berlin
Bernhard Leitner. TonRaumSkulptur, Objekte, Notation, Graphik, Kunsthandel Wolfgang Werner, Berlin
Ton-Architektur, Architekturzentrum Wien
Bernhard Leitner Spacesoundbodyspace, Buda Tower, Festival van Vlaanderen Kortijk
2011
The Saving of the Wittgensteinhouse Vienna (1969-71), Georg Kargl BOX, Wien
Earspacebodysound, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2008
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck
Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin
2007
Moving Heads, Neue Galerie Graz, Graz
2005
Singuhr-Hörgalerie, Berlin
2006
SynErgon, LINZ AG Center, Linz (P.I.)
2004
Galerie Gelbe MUSIK, Berlin
2003
Spiegelgalerie, Ferdinandeum, Innsbruck
Klangstein, Kulturbezirk St. Pölten, St. Pölten (P.I.)
2002
Künstlerhaus Wien, Wien
ZKM Karlsruhe/Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
2001
Kunsthalle Bremen, Bremen
2000
Strömungen, Otto-Wagner-Spital Wien, Pavillon Felix, Wien (P.I.)
1999
Klangkunstforum Berlin, Potsdamerplatz, Berlin
Akademie der Bildenden Künste Berlin, Berlin
Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin
1997
Wasserspiegel, Donaueschinger Musiktage, Donaueschingen (P.I.)
Raumquellen, Atrium, Friedrichstrasse Berlin (P.I.)
1996
Tonhöhe, Kollegienkirche, Salzburg
1993
Galerie Weißer Raum, Hamburg
1992
Ton-Feld, Lasallestraße Wien, Wien (P.I.)
1991
Ton-Raum Buchberg, Buchberg (P.I.)
1990
Ruine der Künste, Berlin
Galerie Aedes, Berlin
1990
Ton-Tor, Technische Universität Wien, Wien
1987
Frankfurter Kunstverein, Frankfurt
Le Cylindre Sonore, Parc de la Villette, Paris (P.I.)
1984
Ton-Raum TU Berlin, Technische Universität Berlin, Berlin (P.I.)
1982
Kunstraum München, München
1981
Museum moderner Kunst Wien, Wien
1980
Pro Musica Nova, Kunsthalle Bremen, Bremen
1979
Museum Haus Lange, Krefeld
1978
Galerie Zwirner, Köln
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2020
Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir. Kunst und Choreografie, Kolumba Kunstmuseum des Erzbischofs Köln, Köln
2018
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
Reduction, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
2017
moving is in every direction. Environments – Installationen - Narrative Räume, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin
Erwarten Sie Wunder, Ulmer Mueum, Ulm
Où sont les sons? Where are sounds?, CENTRALE for contemporary art, Brüssel
2014
KOLUMBA Museum, Köln
Art or Sound, Fondazione Prada, Venedig
2013
Pèlerinage. Kunstfest Weimar
System and Sensuality. The Ernst Schering Foundation Collection -Contemporary Art from Tom Chamberlain to Jorinde Voigt, Schering Stiftung, Berlin
Four Houses, Some Buildings and Other Spaces, New York Universities at 80 WSE gallery, NY
2012
70.40.30, Kunstraum Buchberg, Gars am Kamp
SuperBodies, 3rd Triennale for contemporary art, fashion and design, Hasselt
Sound Art. Klang als Medium der Kunst, ZKM Karlsruhe, Zentrum für Kunst und Medien
A House full of Music. Strategien in Musik und Kunst, Mathildenhöhe, Darmstadt
KOLUMBA Museum, Köln
2011
Continuum_the perception zone, Tallinn Art Hall, Tallin
2010
TONSPUR_expanded / DER LAUTSPRECHER, MQ Wien, Wien
The View, Contemporary Art Space, Berlingen
RAUMREFLEXION, KOLUMBA Museum, Köln
MaerzMusik, Berliner Festspiele, Berlin
2009
Klangraum Krems, Minoritenkirche, Krems
See This Sound, LENTOS Linz, Linz
Donaueschinger Musiktage, Donaueschingen
Corps Sonore, EPFL, Lausanne
2008
Feedbackstage, Georg Kargl Fine Arts, Vienna; Galerie Thomas Schulte, Berlin
2007
Sound Dimension, San Sebastian
2006
Sonambiente, Akademie der Künste, Berlin
2005
Das digitale Bauhaus, Pèlerinages, Kunstfest Weimar, Weimar
Radio France, Atelier de Création Radiophonique
2004
Ex.Position, Ferdinandeum, Innsbruck
Zeitversetzt, Pèlerinages, Kunstfest Weimar 2004, Weimar
MaerzMusik, Berliner Festspiele, Berlin
2003
Donaueschinger Musiktage, Donaueschingen
2002
Resonanzen II, Stadtgalerie Saarbrücken, Saarbruecken
2000
Resonancias, Museo Municipal de Malaga, Malaga
1998
Crossings, Kunsthalle Wien, Wien
1997
Des Eisbergs Spitze, Kunsthalle Wien, Wien
1996
Sonambiente, Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz, Berlin
1994
Blaues Wölben, Forschungszentrum Austria Tabak, Wien
1993
Grosse Raumwiege, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Berlin
Agoraphon, Mediale Hamburg, Hamburg
1991
Sinneswerkzeug, Steirischer Herbst, Graz
1986
Biennale di Venezia, Venedig
1985
Kreuz-Klang-Körper, Hamburger Kunsthalle, Hamburg
Vom Klang der Bilder, Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart
1984
Walter Philips Gallery, The Banff Centre, Alberta
1983
Electra Musée d´art moderne de la ville de Paris, Paris
1982
ars electronica, Linz
documenta 7, Kassel
1981
Soundings, Neuburger Museum, Purchase, New York
1980
Für Augen und Ohren, Akademie der Künste, Berlin
Ecouter par les Yeux, ARC, Musée de la ville de Paris, Paris
1979
Sound Space, P.S.1, New York
Anfrage
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