Chuck Close
Chuck Close hat eine Strategie entwickelt, mit der er die Welt auf ein System visueller Metaphern projiziert. Seine Gemälde, Fotos und Drucke markieren einen Schnittpunkt zwischen figurativer Abbild und Abstraktion, der zugleich augenblicklich und zeitlos wirkt. […]
Seine Drucke sind noch arbeits- und zeitintensiver als seine Malereien. Während Letztere Close für mehrere Monate beschäftigen, dauert die Fertigstellung eines Drucks von der Konzeption bis zur Edition nicht selten mehr als zwei Jahre. […] Die Beziehung zwischen Close und den Druckermeistern ist der Schlüssel für das Gelingen seiner Drucke. […] Close hatte das Glück, immer mit Visionären zusammenzuarbeiten, die auf ein grundsätzlich unvorhersehbares Endergebnis vertrauen. Seit den späten 1970er Jahren wurden fast alle Drucke von Close unter der Schirmherrschaft von Richard Solomon von Pace Editions in New York veröffentlicht.
Close bezeichnet sich selbst als „Künstler, der Probleme sucht“, denn das Ausloten der Grenzen einer Technik bringt ihn tatsächlich in Schwierigkeiten, doch sich selbst aus einer technischen Sackgasse herauszubringen wurde zu einem unverzichtbaren Katalysator seiner Kreativität. Die Drucke bieten Close eine Arena, in der er Lösungen zu den ästhetischen Problemen erarbeiten kann, die ihm seine rastlose Vorstellungskraft permanent stellt. […] Jedes Mal, wenn er eine Druckgrafik beginnt, ist nicht nur die Herstellungsweise eine andere, sondern auch ihr visuelles Erlebnis. Die Interpretationen seiner eigenen Ikonografie führen, über die Zeit betrachtet, nicht zu Ähnlichkeiten zwischen den Arbeiten, sondern zu Unterschieden – als wäre jedes Bild ein Neuanfang oder ein frischer künstlerischer Eindruck. Close recycelt Bilder. Wieder und wieder nimmt er ein Sujet auf. Wir werden vertraut mit Phil (Glass), Keith (Hollingworth), Leslie (Close), Alex (Katz) und natürlich dem Gesicht des Künstlers selbst. Doch spielt die Vertrautheit mit den Porträtierten in vielerlei Hinsicht keine Rolle. Abgesehen von der üblichen Ähnlichkeit des Porträts mit dem Porträtierten, faszinieren seine Drucke durch die Sichtbarmachung ihrer Machart. Die Lithografie Phil/Fingerprint, die Zellstoffpapierdrucke Phil III und Phil Sitbiteberuhen alle auf demselben Foto, doch mit jedem versuchten Bild Phils zerstreut Close die Gewissheit, eine endgültiges Abbild erreichen zu können. […]
Closes Gesamtwerk bietet eine Fülle von Information in verschobenem Maßstab, die die Wechselbeziehung zwischen Publikum und Kunst verändert. Unsere Rolle als Publikum besteht darin, die Beziehungen zwischen den Teilen und dem Ganzen herzustellen sowie zwischen den Oberflächen seiner Darstellungserfindungen zu unterscheiden – zwischen Pinselstrichen, Fingerabdrücken, Punkten, Papierpartikeln […]. Die Porträtmalerei von Close ist perzeptuell, nicht psychologisch. Ob nun die Bildfläche visuell durchdrungen werden muss wie in seinen frühen Arbeiten oder zusammengesetzt wie in den jüngsten – das Wiedererkennen des Porträtierten als Phil oder Keith bringt uns nicht über eine grundlegende Kategorisierung hinaus, gleichsam über ein Unterscheiden von A und B. Um diese Bilder zu verstehen, müssen wir auf die Spuren des Künstlers zurückblicken, auf seine Methoden. Und seine individuellen Spuren können gelesen werden wie tagebuchartige Eintragungen im Zuge seiner tagtäglichen Bemühungen, ein Bild zu schaffen. Zusammengenommen bilden diese Eintragungen ihrerseits ein Porträt der Sensibilität von Close – von seinen Visionen und seinem Intellekt –, das mehr zum Vorschein bringt, als jedes einzelne seiner Selbstporträts
Terrie Sultan, „Chuck Close Prints“, in: exhibition catalogue Chuck Close Prints—Process and Collaborations, Princeton University Press, Princeton, Blaffer Gallery, the Art Museum of the University of Houston, Houston, 2003, pp. 9-16.
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