Herwig Kempinger
Transform
Herwig Kempinger hat jahrelang mit der Sehmaschine Kamera und der Wunschmaschine Computer in ausgeklügelten apparativen Verfahren gearbeitet und kehrt mit den neueren Baustellen-Arbeiten zu den ursprünglichsten aller denkbaren künstlerischen Methoden zurück: zu Pinsel und Farbe. Baustellen sind für Kempinger die größten temporären Inszenierungen, die es heute gibt. Auf Aquarellpapier oder auf Leinwände projiziert er Dias von bereits am Computer vorbereiteten Fotovorlagen, die dann in einem kontrastreichen Positiv/Negativ mit schwarzer Aquarellfarbe nachgemalt werden. Hier wird etwas weg gelassen, da etwas hinzugefügt, er erfreut sich kurz an einer symbiotischen Beziehung, bis er den Alien, ganz im Sinne des Brasilianers Oswald de Andrade, verdaut und assimiliert hat. Mit der – händischen – Übertragung in ein anderes Medium wird das Foto schließlich zum eigenen, zu seinem Bild: Fotografie als Dienstleister.
Kempinger, der für lange Zeit als Hardliner der Abstraktion galt, richtet damit den Blick auf den primären Ort des Sichtbaren: die natürliche Welt. Die so natürlich wiederum nicht bleiben soll, schließlich geht es auch immer um die Manipulationsfähigkeit des Bildes. Durch sorgsam ausdifferenzierte Korrekturen, die manchmal die Komposition und nie den Bildausschnitt betreffen, verbessert Kempinger die Wirklichkeit, transformiert sie im Projektorlicht in ihr Surrogat.
Die harten Kontraste und präzisen Linien verleihen Kempingers Aquarellen Anziehungskraft und Unmittelbarkeit. Ihre bühnenhafte Präsenz kommt der einer Fotografie gleich. Die Superstructures der Baustellenarchitektur sind menschenleer, einsam und verlassen, verpflichtet dem Phantomschmerz der pittura metafisica Giorgio de Chiricos, aber auch Giovanni Battista Piranesis Carceri, den Ruinen, deren allegorische Funktion sich im perfekt inszenierten Verfall erschließt.
Die Modelle von Constants Architekturvision New Babylon schlagen ein offenes System aneinandergefügter Sektoren vor, das sich der Vertrautheit mit Stadtbrachen, Ruinen und Slums verdankt. Ähnlich hat auch Herwig Kempinger über das Aneinanderfügen einer Matrix zu einem System mit unbegrenzter Ausdehnung nachgedacht und lässt die Blätter in möglichst großer Zahl dicht in einen Raum hängen: schwebende Stadtarchitekturen mögen entstehen, in einem mit vielen Ebenen gefüllten Raumnetz. „Die Aquarelle funktionieren auch als Einzelbild, aber besser funktionieren sie als Gruppe“ meint der Künstler‚ „da werden sie in ihrer beunruhigenden Atmosphäre klarer“. Die Baustellenmalerei bewegt sich in der Twilight Zone zwischen fact und fiction und sind so gesehen ein Kommentar zur Abwesenheit und eine neue Interpretation von Displacement.
Die Reichhaltigkeit der Bildinformationen auf den Baustellenaquarellen läßt nun an das Gegenteil von Beunruhigung, an den Trost durch Realien denken. Doch nichts Tröstliches ist in Sicht. „Das Unheimliche ist etwas, was im Verborgenen hätte bleiben sollen und hervorgetreten ist“(1) sagt Freud. Und wir treten in einen Transitraum, einen Raum des Irgend- und Nirgendwo. Räumliche Phobien, Platz- und Höhenangst drohen dem Betrachter aus verzerrten fotografischen Blickwinkeln. Gordon Matta Clarks verwundete und verletzte Räume sind nicht weit. Auf verwirrende Art verwandelt Kempinger die alltäglichen und vertrauten architektonischen Situationen in rätselhafte Tableaux, auf denen – wenn schon nicht die Angst – dann zumindest eine gewisse Besorgnis wohnt. Vielleicht ist es so simpel: Ein Foto der Wirklichkeit ist scheinbar vertrauter, als eine Wirklichkeit, die vom Foto „runtergemalt“ ist.
Seit 2004 entstehen fotografische Arbeiten, die Kempinger als Teil der „temporäre Volumen“ bezeichnet. Es handelt sich um Bläschen, die in permanenter Veränderung begriffen sind, die auftauchen und verschwinden, nur der eine Klick mit der Kamera verleiht ihnen Permanenz. Die Fotografien sieht der Künstler in unmittelbarer konzeptueller Nähe zu den Baustellenaquarellen und als Fortsetzung seiner Studien zur Immaterialität.
Es wäre vermessen, Herwig Kempinger, der zu den radikalen Finalisten von Objektbezug und Narration gehört, alchemistische Metaphernfreude nachzusagen. Wie sein Bruder im Geiste, Ed Ruscha, geht er mit visuellem Material eher lakonisch um, verzichtet auf erzählerische Klammern oder andere inhaltliche Verdichtungen.
(1) Sigmund Freud, Das Unheimliche, 1919 [The Uncanny]
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