Liddy Scheffknecht
sciography
Ohne Schatten gäbe es die Geschichte der Kunst nicht, sie ist gleichsam aus ihr heraus geboren, so jedenfalls will es die Legende. Plinius der Ältere schildert den Anfang der Malerei im ersten Jahrhundert nach Christus als rührende Liebesgeschichte: Debutade, eine junge Frau aus Korinth, nimmt im Kerzenlicht Abschied von ihrem Geliebten. Das Licht wirft einen Schatten an die Wand und das Mädchen zieht kurzerhand den Umriss ihres Liebsten nach, denn auch wenn er in die Ferne geht, sein Bild soll bleiben. Auch wenn die Geschichte der Malerei mit dem Schatten zu beginnen schien, führt er lange ein unliebsames Dasein: denn wenn Dinge Schatten werfen, wird die Malerei ganz schön kompliziert. Der Maler muss eine Lichtquelle ausweisen, muss bestimmen, aus welchem Winkel das Licht eintrifft, worauf der Schatten fällt, ob er Gegenstände auf dem Bild überschattet oder sich gar zwei Schatten überkreuzen. Neben technischen Schwierigkeiten, zeichnet sich auch ein ideologisches Problem ab, denn wer Schatten malt, verzeitlicht und verweltlicht die Kunst. Der Schatten verrät nicht nur die Tageszeit, er kündet auch von der Vergänglichkeit des Gezeigten. Wir sehen nicht länger das Ewige, sondern Augenblickliches, das vergeht, sobald die Schatten weiterwandern. Diese Schwierigkeiten der Malerei, sowohl praktischer als auch ideologischer Natur scheinen im Medium der Fotografie obsolet zu werden, ja gilt doch geradezu der Wirklichkeitsanspruch, das Festhalten eines flüchtigen Moments, das Gefrieren der Zeit als eines der Anliegen und als eine der Möglichkeiten der Fotografie. Sie kann einen bestimmten Zustand von Licht und Schatten in einem Bruchteil von Sekunden dauerhaft ins Bild bannen, eines kann jedoch auch dieses Medium nicht: die ständige Veränderung des Lichts in Szene setzen. Dies vermag der Film, der den zeitlichen Ablauf von Bewegung darstellen kann.
Das Spannungsfeld von Licht und Schatten, von Bewegung und Stillstand, das Hinterfragen und Ausreizen der Grenzen von Film, Fotografie, Installation und Zeichnung beschäftigt die Künstlerin Liddy Scheffknecht (*1980) seit rund 15 Jahren. In ihrer ersten Einzelausstellung bei Georg Kargl Fine Arts – 2011 waren ihre Arbeiten bereits in der Georg Kargl BOX zu sehen – lotet sie das Verhältnis von Zeitlichkeit und Wahrnehmung aus und erzeugt und bricht Illusion gleichermaßen. Sie erweitert die statische Fotografie durch Videoprojektionen und lässt eine mediale Mischform zwischen stillem und bewegtem Bild, zwischen fotografischem und filmischem Medium entstehen.
So wird etwa in La Journée auf ein großformatiges Foto der Hofarkaden in München präzise ein Video von zwei menschlichen Schatten projiziert. Die Veränderung der Schattenform scheint nicht nur durch den Tagesverlauf, die unterschiedlichen Lichtverhältnisse im Innen- und Außenraum der Arkaden, sondern paradoxerweise auch durch die architektonischen Gegebenheiten beeinflusst, die zwar real vor Ort, nicht aber auf dem fotografischen Abbild bestehen können. Es entsteht ein unheimliches, surreal anmutendes Szenario, das an die Pittura Metafisica des Giorgio de Chirico erinnert. Die verstörende Irritation fußt auch darauf, dass die Schatten durch das Licht des Beamers erzeugt werden und die Schatten der Personen sich auf keinerlei innerbildlichen Referenten beziehen. So schiebt sich aus dem Nichts der Schatten eines Fotografen in die Arkaden, der scheinbar eine unmittelbar danach auftauchende Figur fotografiert. Langsam wandern beide Schatten aus dem Arkadeninnenraum in den Außenraum, um dann am unteren Bildrand zu verschwinden. Selbst wenn in anderen Videoinstallationen von Liddy Scheffknecht die Personen, die scheinbar den Schatten werfen, in der Fotografie zu sehen sind – wie das Skifahrerpärchen in point – so entwickeln sich die Schatten mehr oder weniger unabhängig von ihrem Primärobjekt, gehen über den Bildrand hinaus, verändern und verzerren sich und lassen keinerlei kohärente visuelle Rückschlüsse mehr zu.
Das komplexe Verhältnis von Bewegung und Stillstand, von Objekten und ihren Schatten wird auch in Liddy Scheffknechts fotografischen Sequenzen thematisiert und ins Absurde extrapoliert. In ihren Fotostudien greift sie auf das schon bekannte Stilmittel der Bildserie zurück, die über eine Abfolge von Bildern zeitliche Veränderung und Bewegung suggeriert. Scheffknecht lichtet alltägliche Objekte und deren vermeintlich zugehörige Schatten ab, wobei stets nur an einem Foto innerhalb der Serie eine stimmige Illusion entsteht. Auch hier wird der Betrachter in Scheffknechts absurd konstruierte Bilderwelten entführt. In Anlehnung an den bekannten Schildbürgerstreich, bei dem die Bürger nach Erbauung eines fensterlosen Rathauses vergeblich versuchen das Sonnenlicht mit Kübeln in das Innere des Gebäudes zu transportieren, zeigt Scheffknecht in ihrer Fotoserie spot einen an immer gleichen Stelle liegenden Eimer. Sein scheinbar flüssiger Inhalt wandert als Lichtfleck durch den Raum und selbst auf dem Foto, auf dem sich die Illusion von Lichtschatten und Objekt am kongruentesten präsentiert, stellt sich die Frage einer tatsächlichen Zuordenbarkeit.
In der Fotoserie Ceci n’est pas une plante, eine gedankliche Hommage an Rene Magrittes Ceci n’est pas une pipe, dreht die Künstlerin das Gedankenspiel um Realität und Illusion und die Trennung von Signifikant und Signifikat insofern weiter, als sie nicht die Pflanze selbst, sondern nur das mit Nadeln sichtbar an die Wand fixierte Bild einer Pflanze und deren sich zu verselbständigen scheinenden Schatten in Szene setzt. Entscheidend sind in der künstlerischen Methodologie Liddy Scheffknechts Faktoren wie Langsamkeit, Kontrollverlust und poetische Illusion. Die Schatten werden nicht digital manipuliert, sondern in einem langwierigen analogen Prozess konstruiert, der außerhalb der Kontrolle und des Einflussbereichs der Künstlerin liegt und von Sonnenstand, Jahreszeit und Wetterlage abhängig ist. Ihre Wahrnehmungsstudien machen etwas sichtbar, was sich außerhalb des Bilderrahmens befindet, sie wirken wie Ausschnitte aus der Werkstatt der Natur und künstlich manipuliert zugleich, indem Schatten und Zeit als bildnerische Konstruktionsmaterialen verwendet werden.
Die Skiographie, die Schattenmalerei, wird in jenen ebenso betitelten fotografischen Einzelbildern Liddy Scheffknechts weiter geführt, in denen das Sonnenlicht durch auf Fensterscheiben geklebte farbige Folien fällt und ein buntes, abstraktes Abbild auf ein am Boden ausgebreitetes Papier wirft. Ein Foto fixiert den flüchtigen Augenblick, der sich so nur einmal am Tag unter einer bestimmten Sonneneinstrahlung bietet. Jeder an den Falten des Papiers gebrochener Farbschatten zeichnet sich so im Bild ab, dass nicht mehr ablesbar ist, ob sich die Falten im ursprünglichen illusionistischen Bild oder im fotografischen Abbild befinden. Es entstehen verschwommene Farbwolken, deren anziehende Tiefenräumlichkeit fast an die transzendentalen Farbfeldmalereien Mark Rothkos erinnern und deren ephemere Wirkung sich immer mehr entfaltet, je näher der Betrachter an das Bild herantritt. Fast scheint die außerbildliche Bewegung des Rezipienten eine innerbildliche in Gang zu setzen, indem die vertikalen Linien wie Farbschleier aus dem Foto herauszuwehen scheinen, um sogleich wieder in dieses zu verschwinden. Das flüchtige Bild entsteht im Auge des Betrachters, in der Dauer der Anschauung, möchte man das Bild mit den Worten des altgriechischen Lyrikers Pindar zum Sprechen bringen: „Eines Schatten Traums sind Menschen.“
Text: Fiona Liewehr
Biografie
geboren 1980 in Dornbirn/AT; lebt und arbeitet in Wien
Ausgewählte Einzelausstellungen
2023
Broken Flowers, Korridor, Wien
2021
nine to five, Kunstraum Weikendorf, Weikendorf
2020
Dimensions, Sehsaal, Wien
pictorial space, Schauraum Quartier21, Wien
2018
points in time, Georg Kargl BOX, Wien
mirage, Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz
2016
dream argument, Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Solar days, Remise Bludenz, Bludenz
sciography, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2015
shift, Galerie der Stadt Wels, Wels
2013
spot, Sotheby’s Artist Quarterly, Wien
2012
eleven minutes twenty seconds, Kunsthaus Graz, Graz
sence, Ex-Garage, Maribor
2011
Georg Kargl BOX, Wien
Bubblegums, The Outside Gallery Window, Mailand
2008
Take Aways, Galerie Wilma Lock, St. Gallen
whiteout, Galerie Jeune Création, Paris
2006
scaffoldings, The Outside Gallery Window, Mailand
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2022
The Fest, MAK, Wien
2021
Heimspiel, Kunstraum Dornbirn, Dornbirn
25 Jahre Kunstforum Montafon, Kunstforum Montafon, Vorarlberg
Sammlung König-Lebschik,KUB Sammlungsschaufenster, Bregenz
Auf eigene Gefahr, Vorarlberg Museum, Bregenz
Solar Habitat, Lindabrunn
Unerkannnt, Bekannt, Kunstmuseum Appenzell, Appenzell
2020
Would You Be Available…, Georg Kargl Permanent, Wien
Borderland, Fotogalerie Wien, Wien
Attempt at Rapprochement, Georg Kargl Fine Arts, Wien
fake & fragment, Sehsaal, Wien
Now. Collected #9/#10, Bank Austria Kunstforum, Wien
minus 20 degrees, Festival for Art and Architecture, Flachau
2018
Plinque Projéction II, Cité Internationale des Arts Paris, Paris
Heimspiel 2018, Kunstmuseum Appenzell, Appenzell (CH)
A Recollection of Resonances, bb15’s 10-Year Anniversary Exhibition, bb15 - Raum für Gegenwartskunst, Linz
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
Reduction, Gesellschaft für projektive Ästhetik, Georg Kargl, Wien
2017
Plex Noir, Atelier Van Lieshout, Atisuffix, Manfred Erjautz, Werner Reiterer, Liddy Scheffknecht, Johannes Vogl, Kunst im öffentlichen Raum, Graz
2016
dream argument, Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Hybrid (...) Scapes, Nida Art Colony, Nida
FILTER, Kunstforum Montafon, Schruns
2015
Transparency, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Landscape: Transformations of an Idea – Art of the 1800 to the Present day from the Collection of the Neue Galerie Graz, Neue Galerie Graz, Graz
Random thoughts of a daily light, das weisse haus, Wien
Schneesalon, Georg Kargl BOX, Wien
(O)budowa, Liddy Scheffknecht, Jan Mioduszewski, Austrian Cultural Forum Warschau, Warschau
2014
Blow-Up, Albertina, Wien
côte intérieur, Kunstpavillon, Innsbruck
Inattentional Blindness, Galerie Zilberman, Istanbul
2013
Phantoms & Ghosts, das weisse haus, Wien
The Intransigent Ticket - The Artist as a Filter, CSULA Fine Arts Gallery, Los Angeles
PLI SELON PLI, Galerie 22,48m², Paris
ELASTIC VIDEO, Kunstraum Niederösterreich, Wien
2012
/TILT/, Liddy Scheffknecht, Armin B. Wagner, Zentralkunstgarage, Lustenau
Parcours, Claudia Larcher/ Liddy Scheffknecht, Galerie Stephanie Hollenstein Lustenau
4. Internationale Sinop Biennale, Sinop
Genius loci, Kulturpolis, Klaipéda
The Digital Uncanny, Edith – Ruß – Haus for Media Art, Oldenburg
2011
This is Happening II, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Donetsk goes Contemporary, Art Point Donetsk, Donetsk
Space Odyssey, Künstlervereinigung Maerz, Linz
Meet everyone at once, start an artist-run-space, Ogms, Sofia
Kaleidoskop, In der Kubatur des Kabinetts - der kunstsalon im fluc, Fluc, Wien
Elastic Video, Tokyo Wonder Site Hongo, Tokio
2010
HAPPY HOUR, In der Kubatur des Kabinetts - der kunstsalon im fluc, Fluc, Wien
Qui vive, 2nd Moscow International Biennale for Young Art, Artplay Design Center, Moskau
Matthias Garnitschnig, Claudia Larcher, Liddy Scheffknecht, c-Art, Dornbirn
Austria la vista, baby, The Art Foundation, Athens
Petit Plinque, Transforming Freedom, Museumquartier, Wien
Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Bernd Oppl, Liddy Scheffknecht, bb 15, Linz
WIR WOHNEN, Kunstraum Niederösterreich, Wien
2009
Plinque Projéction, Cité Internationale des Arts, Paris
Biennale of Young Artists of Europe and the Mediterranean, Nacionalna Galerija - Mala Stanica, Skopje
2008
Jeune Création 2008, Parc de la Villette, Espace Charlie Parker, Paris
GAMES. Kunst und Politik der Spiele, Kunsthalle Wien project space, Wien
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