Martin Dammann
Zweite Totale
Mit dem Begriff der „Aura" versucht Walter Benjamin in seinem bahnbrechenden Buch Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936) dieses ungewisse Etwas zu bezeichnen, das dem Kunstwerk verlustig geht, wenn es mittels mechanischer Verfahren vervielfältigt wird. Genau genommen kehrt der deutsche Künstler Martin Dammann den von Benjamin beschriebenen Prozess um und führt seinem technisch reproduzierten Quellenmaterial – in diesem Fall Archivfotografien – über den Weg der Malerei etwas von der verloren gegangenen Aura wieder zu.
In seiner gegenwärtigen Ausstellung zeigt Dammann eine Serie großformatiger aquarellierter Landschaften, aber auch vergrößerte Archivfotos, Zeichnungen von zurückgelehnten Frauen, seltsame und mithilfe eines Scanners hergestellte „Abbildungen" von Objekten. Suchte man einen einzelnen Begriff, um die Gemeinsamkeiten in den sich unterschiedlicher Techniken und Formate bedienenden Arbeiten zu bezeichnen, so wäre es wohl der, der „Landschaft" im weitesten Sinne. Martin Dammanns Werk begnügt sich nicht mit einem Kommentar zu den zwei Weltkriegen, auch wenn seine Arbeiten auf Originalfotos aus jener Zeit beruhen. Seine Bilder sind weder blutig noch gewaltvoll; sie überwältigen den Betrachter nicht mit grauenvollen Ansichten oder martialischen Aussagen. Vielmehr bezeugen sie das Interesse des Künstlers an Historie, untersuchen sie doch einerseits die Art und Weise, mit der wir historische Dokumente begutachten, andererseits die Emotionen, die Archivbilder auslösen (insbesondere Familienfotos, sogar wenn die darauf abgebildeten Menschen mit dem Betrachter nicht verwandt sind). In den Worten Benjamins: „Es empfiehlt sich, den oben für geschichtliche Gegenstände vorgeschlagenen Begriff der Aura an dem Begriff einer Aura von natürlichen Gegenständen zu illustrieren. Diese letztere definieren wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgend, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft, das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen."(1)
Die Ausstellung Zweite Totale (ein Filmbegriff, der die Gesamtübersicht über ein Szenario bezeichnet) beruht auf einem mehrmonatigen Projekt. Zielsetzung war es, eine Serie von Landschaftsbildern zu erschaffen, die sich in erster Hinsicht mit Natur beschäftigen, oder genauer: mit dem Begriff der Natur und der ihm innewohnenden Romantik. Fünf großformatige Aquarelle formen im Hauptausstellungsraum der Galerie eine Art Schwerpunkt, um den herum sich die anderen Werke gruppieren. Der offensichtlichen Menschenleere der Landschaften steht eine Serie kleinformatiger Zeichnungen von Geliebten gegenüber. Dennoch wäre es irreführend, die oben erwähnte Romantik in den menschlichen Figuren oder den entvölkerten Landschaften zu suchen, da sie letztlich im verlangenden und liebenden Blick dessen verborgen liegt, der ursprünglich das Foto aufnahm, welches als Grundlage von Dammanns Arbeit dient.
In einem weiteren Sinne behandelt die Ausstellung auch die Frage: „Was ist Krieg?" Denn abgesehen von Soldaten und Waffen hat Krieg immer auch mit Landschaft zu tun. Zum einen betrachten die Kriegführenden Landschaft mit dem expliziten Wunsch, sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Hierauf verweisen mehrere Bilder aus Aufklärungsflugzeugen, die Luftaufnahmen strategischer Zielobjekte zeigen (etwa vom Mont Saint-Michel in der Normandie, dessen vermeintliche Ähnlichkeit mit einer Militäreinrichtung freilich nicht offensichtlich ist). Es sind Bilder, die der Künstler nicht in Aquarellen weiterverarbeitet, da allein schon ihre detailgetreue fotografische Vergrößerung die grundlegenden Eigenschaften des Originals deutlich erkennen lassen und auf die von Benjamin in der Aura verortete „Erscheinung einer Ferne" verweisen. Zum anderen wird die Landschaft durch die Kampfhandlungen, die Schussgefechte und Bombenabwürfe mitsamt der nachfolgenden Verschiebung von Grenzverläufen, weitreichenden Änderungen unterzogen, die mit der Inbesitznahme des umkämpften Gebiets durch den Gewinner einhergehen.
Letztlich wird die Landschaft in Besitz genommen, indem sowohl ihr Bild als auch ihre Wirklichkeit verändert werden: Die Inbesitznahme beider, sprich: des begehrten Territoriums und seiner Umwandlung, schließt den Prozess ab. Diese dreifache Logik “des Betrachtens und Veränderns sowie der Inbesitznahme“ liegt auch Martin Dammanns jüngster Werkserie zugrunde. Als erstes betrachtet der Künstler die Originalbilder; dann zeichnet oder malt er, wobei er das Betrachtete interpretiert; schließlich nimmt er Besitz von den Bildern, indem er ihre verborgenen Eigenschaften – sollte man sagen Aura? – offenlegt. Ähnlich wie Benjamins Berge oder Zweig handeln Dammanns Bilder vermutlich von Ferne, so nah sie auch sein mag.
Text: Thibaut de Ruyter
(1) Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1966, S. 15.
Biografie
geboren 1965 in Friedrichshafen/Bodensee, lebt und arbeitet in Berlin
Ausgewählte Einzelausstellungen
2018
"Abstieg", InSitu - Fabienne Leclerc, Paris
2017
Kein schöner Land, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2016
Schuld, Galerie InSitu – Fabienne Leclerc, Paris
2015
Zum Resultat beruhigter Tumult, Kunsthalle, Nürnberg
weiter weg, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2014
Martin Dammann. Mit dem Rücken zur Wand, Märkisches Museum Witten (im Rahmen von 25 Jahre / 25 Künstler / 25 Bilder, Kunstsiftung NRW)
Zeichnungen, In Situ – Fabienne Leclerc, Paris
Dieses Feuer, Atelier Rouart, Paris
aus dem über heraus, Kunstsaele Berlin
2013
Galerie InSitu – Fabienne Leclerc, Paris
Goodbye Paradise – Landschaftsbilder gestern und heute, Kunsthalle Osnabrück
Nur hier, Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland, Ankäufe, von 2007 bis 2011, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
2012
Blind Spot, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2011
gegen über, Galerie Barbara Thumm, Berlin
Frauen, In Situ / Fabienne Leclerc, Paris
2009
Malerei-Zeichnung, Kunstverein Konstanz, Konstanz
Soldier Studies und Neue Malerei, Galerie Barbara Thumm, Berlin
Fremde Freunde, Kunsthalle Recklinghausen, Recklinghausen
2008
Zweite Totale, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2007
Repromancer, Kunstverein Arnsberg e.V., Arnsberg
2006
Collecting militaria gives you something to talk about, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2005
Vanishing Point, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Überdeutschland, Galerie Barbara Thumm, Berlin
Vanishing Point 2, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2003
New Works, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2002
Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
1998
Transmission, Espace des Arts, Chalon-sur-Saône
Blitz Licht, Kunstruimte, Berlin
1996
Galerie Herold, Bremen
1995
Galerie 21, St. Petersburg
Ausgewählte Gruppenausstellungen
2018
CONCENTRATION - a tribute, Gesellschaft für projektive Ästhetik Georg Kargl, Wien
2017
ZWANZIG 20 years Galerie Barbara Thumm, Galerie Barbara Thumm, Berlin
"En marge", InSitu- Fabienne Leclerc, Paris
Group-Picture, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2015
Fire and Forget. On Violence, Kunstwerke Berlin
The Beast and the Sovereign, MACBA – Museu d’Art Contemporani de Barcelona
BER-DTM-HNL – Fasten your seatbelts, HMKV, Dortmund
2014
DER KUBIST MARCEL DUCHAMP MAG NICHT MALEN, Thomas Schulte, Berlin
Summerstage, Galerie Barbara Thumm, Berlin
Emotionsräume, Kunstverein Talstraße, Halle/Saale
Kunst Oberschwaben 20. Jahrhundert – 1970 bis heute, Schloss Achberg, Achberg, Deutschland
2013
Donation Florence et Daniel Guerlain, Centre Pompidou, Paris
Goodbye Paradise – Landschaftsbilder gestern und heute, Kunsthalle Osnabrueck
Spur der Steine, Alte Feuerwache, Kulturhaus Friedrichshain, Berlin
Nur hier, Sammlung zeitgenössischer Kunst der BRD Ankäufe von 2007-2011, Kunst- und Ausstellungshalle der BRD, Bonn
Bremer Schule, ESSEN UND TRINKEN MUSUEM, Berlin
2012
Mohrenshow, Wurlitzer Art, Berlin
Choses vues á Droite et á Gauche (sans lunettes), Ballhaus Ost Berlin, Berlin
2011
10 Years Autocenter, Autocenter, Berlin
Rollenbilder.Rollenspiele, Museum der Moderne Salzburg, Salzburg
Erika Mustermann Collection, Der Strich, Berlin
EHF 2010, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin
State of the Union, Freies Museum, Berlin
2010
Fine Line, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Einen Ort herstellen, Neuer Sächsicher Kunstverein, Dresden
Family Jewels, Galerien der Stadt Esslingen, Esslingen
A Generation, Petach Tikva Museum of Art Israel, Israel
La Revanche de l´Archive Photographique, Centre de la Photographie, Genf
2009
Schickeria – High Society, BDA-Ausstellungsraum, Braunschweig
Biennale Venezia, 53rd International Art Exhibition, Venedig
Family Jewels, Galerien der Stadt Esslingen, Esslingen
The Fear Society – Pabellon De La Urgencia, Arsenale Novissimo, Venedig
2008
Vertrautes Terrain – Aktuelle Kunst in und über Deutschland, ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
Nothing to declare, 4. Triennale zeitgenössischer Kunst Oberschwaben, Friedrichshafen
Wild Signals, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart
Quo Vadis, Autocenter, Berlin
2007
Männerfantasien, Chung King Project, Los Angeles (curated by Ellen Blumenstein)
Between the Two Deaths, ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
Malkunst, 2. Aktuelle Malerei in Berlin, Mudima - Fondazione per l’Arte Contemporanea, Mailand
2006
VAC – Colección Valencia Arte Contemporáneo, IVAM, Valencia
Don´t talk about it, Berlin
I walk the lines, Galerie Barbara Thumm, Berlin
Berlin Tendenzen, La Capella – Institut de Cultura de Barcelona, Barcelona
SPEED, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2005
Trial of Power, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin (curated by Maik Schlüter)
Richtig Wichtig, PACT, Amsterdam
Good Timing, Georg Kargl Fine Arts, Wien
Waters and Watercolours, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2004
Foreign Affairs Berlin, Tent Centrum Beeldende Kunst, Rotterdam
From Above, Georg Kargl Fine Arts, Wien
2003
Video Programme, Galerie Barbara Thumm, Berlin
2001
Einsiedler, Vorübergehend, Museum Folkwang, Essen
Pandaemonium, The Lux Centre, London
2000
Experimental Projects, PS1 - Contemporary Art Center, New York
No Vacancies, Galerie Barbara Thumm/Angelika Richter, Berlin
1999
View, Galerie Eigen & Art, Berlin
Kunstwerke e.V., Berlin
Kunstbank, Berlin
art club berlin, Berlin and AUbase art space, New York
1998
Between, Jacksonville Museum of Contemporary Art, Florida
Sub Fiction, 3. Werkleitz Biennale, Werkleitz
Blockbuster, Kunst + Technik, Berlin
1997
Medienpaket, ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
Hybrid Work Space, Documenta X, Kassel
Kunst + Technik, Berlin
11 Videos, Dogenhaus Projekte, Berlin
L´immagine leggera, Videofestival, Palermo
1996
Auswahl 7. Marler Videopreis, Skulpturenmuseum Glaskasten, Marl
Cluster Images, Werkleitz Biennale, Werkleitz
Die 50 besten, Video Award of ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe
Digitale ´96, Photokina/Kunsthochschule für Medien, Köln
1995
Dirty Windows Gallery, Berlin
Pearls Vol. II, Stiftung Starke, Berlin
1994
Werkstattgalerie Hohentorsheerstraße, Bremen
Ars Grafinova, Ostrobothnian Museum, Vaasa
Anfrage
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