Dario Wokurka
Unexpected Paintings
Beim Telephonieren scrollen wir durch die Dropbox mit der Auswahl für die Ausstellung von unten nach oben wie durch einen Bücherstapel und ich sage tatsächlich, unser Sprechen über das Buchcover der englischen Übersetzung von Pierre Bayard, dessen spitzbübischen Ratgebercringe du wie nebenbei in eine Kommunikationstheorie der Malerei übersetzt, könnte Ausgangspunkt werden für mein Schreiben und dabei muss ich schmunzeln, als du den Titel angesagt hast Books One Hasn't Read (How to Talk). Wie wir jetzt über Bilder reden, von denen ich nicht weiß, ob ich sie so schon mal gesehen habe, weil ich hier kein WLAN habe oder weil du bereits eine aktualisierte Version hochgeladen hast oder weil ich ein anderes, aber sehr ähnliches Bild als Aquarell vor einem Jahr in deinem Atelier gesehen habe und diese Performanz des Sprechens-Über im Abtasten und ständigen Spiel des Verbergens und schließlich der bescheidenen Preisgabe der eigenen Uninformiertheit, eben während du auf die Aufnahme drückst und wir jetzt sprechen und wie der performative Charakter des Sprechens über diese Bilder mir jetzt so reflexiv wird, sagst du: So nebenbei halt auch wieder vielleicht ein bisschen too much information, aber trotzdem okay, wenn man es weiß. Zumindest habe ich es dir gesagt.
Die Frage, welche Informationen in den Text kommen und welche nicht, bildet in ihrer Struktur schon die Frage ab, welche Informationen der BetrachterInnenblick aus den Bildern hervorholt oder welche Vorkenntnis ihm zugemutet wird. (Und wie ein informiertes Schreiben dazu beitragen könnte.) Denn diese Bilder entstehen immer schon in Bezugnahme auf ein impliziertes Wissen, das im BetrachterInnenblick liegt, wie sich jede Interpretation immer aus dem Wissen speist, das wir u.a. aus anderen Lektüren gewonnen haben.
Zur Rolle der BetrachterInneninvolviertheit für die Bedeutungskonstruktion in deinen Bildern sagst du: der informierte Blick und gleichzeitig, dass du nicht wüsstest, ob jemand diesen Begriff schon mal geprägt habe (ob man es schon mal so oder so ähnlich gelesen habe) und ich habe dagegen den Begriff der unvollständigen Lektüre vorgeschlagen, weil nie das Wissen über alle Referenzen als vorausgesetzt gelten kann.
Proposal/ Platz der Arbeit formuliert einen Vorschlag für eine kritische Umgestaltung des Denkmals für einen ziemlich streitbaren weil antisemitischen Bürgermeister, zu deren Wettbewerbsauswahl du nicht eingeladen worden bist, worauf du in Antwort eine eigenständige Malerei präsentierst. Und ich verstehe die Notwendigkeit des Mediums, nämlich im realitätskonstruierenden Geltungsanspruch der Malerei selbst, wo sie an die Stelle der materiellen Wirklichkeit tritt, bzw. diese ablöst.
Unmögliche Anamnesis: Ich kartographiere im Geist, von wo aus ich das Denkmal gesehen habe, wir sprechen über das Kaffeehaus (trafen wir uns dort einmal?). Ich verknüpfe, ich versuche zu vervollständigen und scheitere. Ziemlich sicher aber bin ich mir, dass die Verbesserung von Mitteleuropa, über die wir jetzt am Telephon sprechen, wenn wir über die Bilder für die Ausstellung sprechen, vor einem Jahr auf deinem Küchentisch im fünfzehnten Bezirk lag. Damals arbeitetest du an einer Serie über Teppiche, deren Produkte du mittlerweile wiederum in Malerei übersetzt hast. Weil ich deine Arbeit schon eine Weile verfolge, ist es für mich leichter, die autoreferentiellen Momente, die sich innerhalb deines Werkes bewegen, zu erkennen.
Neben den Selbst- sind die Fremdreferenzen noch sichtbarer:
Schon für den außenstehenden (heißt über das Gesamtwerk weniger) informierten Blick markieren malereigeschichtliche, aber auch außermalerische Bezüge wie graphische Elemente aus der digitalen Bildbearbeitung, Skalierungen, Sehgewohnheiten aus sozialen Medien usw. dein Interesse für die Malerei als Übersetzungsleistung.
Besonders interessant ist der poetische Mehrwert dann, wenn etwas aus einem System überführt wird, mit dem das neue System eigentlich nicht operieren kann (das Digitale ins Analoge) oder die Übersetzung aus einem System, wo der unmittelbare Zugang des historischen Verständnisses fehlt, wie die chinesische Gelehrtenmalerei des 18. Jahrhunderts meinem westlichen Denken über Kunstgeschichte, das vor allem immer mit der Moderne argumentiert.
Jetzt ist auch mein Bildschirm schwarz geworden, sagst du.
Schon wieder eine Überraschung.
Die Negation als Grundfigur der Moderne will auch mein Kommentieren von Kunst immer wieder runterbeten. Schon klar: die Überraschung ist Negation der Erwartung ist Kategorie des Neuen, das gleichsam zum einzig Erwartbaren in der Kunst wird. Wir haben beide dieses Groys Buch gelesen oder erinnern uns zumindest so.
Jedenfalls nicht mit der Warenförmigkeit verwechseln; ich denke hier an die Tradition des Quodlibets in der niederländischen Genremalerei, wo man die mimetische Kraft der Malerei durchaus als etwas Verkäufliches unter Beweis stellen wollte und in Originalgröße Gebrauchsgegenstände abgebildet hat.
Dein Stillleben mit Graukäse, Apfelmus, E-Zigarette: den mageren Käse in magerer Malerei dargestellt, weil du ja nicht in Öl malst, sondern Acrylfarbe mit Wasser verdünnst, und ich darin einen humorvollen Bezug erkenne auf den Diskurs darüber, dass das Material in der Moderne vor dem Inhalt primär geworden sei. Und dass sich die Malerei verpflichtet, ihre eigenen Produktionsmittel und -bedingungen mit abzubilden, wie in dem Bild mit den Enten die Möglichkeit der verwendeten Farbe in einer Grauskala veranschaulicht wird.
Die Malereien reflektieren ihr Medium auch darin, dass sie zum Teil unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein Bild ist oder sein könnte, auf die Probe stellen. Die kommunizierte Verweigerung von Information, die bereits eine Information darstellt, Pinselstriche aus Wasser, ein Diagramm über Diagramme.
Der Selbstbezug ist auch die maximale Beschränkung, bescheiden wie Magerkäse. Aber reichhaltig in der Errungenschaft, dass das Sehen selbst zum Gegenstand des Sehens wird. Und dass sich in dieser bescheidenen Reduktion ein totaler Reichtum des Denkens über Bilder eröffnet, ist die Überraschung beim Sehen.
Man muss das Spezifische an den Referenzen nicht kennen, um den referentiellen Charakter der Bilder zu verstehen. (Und darin sind sie ja für mich auch Gelehrtenmalerei, so verstehe ich den Begriff, und du sagst, das sei ein begriffliches Missverständnis meinerseits, mit dem du aber was anfangen könntest.)
Es geht hier nicht um den Diskurs von Kopie und Original, weil ein Zugang zum Original schon lange unzugänglich geworden ist, weil alles immer schon Kopie war (Malerei) oder bis zur Unkenntlichkeit gesampelt und verzerrt wie bei einem Nightcore Track.
Der springende Punkt: sapienti sat, aber muss nicht, die Bilder funktionieren trotzdem.
Dann schaust du mich vom gemalten Indesign Interface aus an. Self Portrait as a Melancholic Maiden. Melancholiebegriff, Dandyismus und dessen gendered Lektüren müssen nicht explizit genannt werden, könnten aber.
Ich sage, freilich werde ich die eine oder andere Assoziation einfließen lassen und ich nenne einen Titel von Agamben, den ich tatsächlich gelesen habe. Der Blick ist das Medium des melancholischen Begehrens in der frühen Neuzeit, des unwiderruflich Abwesenden, das ein Bild ist. (Unmögliche Anamnesis.)
Ich begreife, dass die Lektüre der Bilder diese erst vervollständigt. Daher ist alles Missverständnis und jedes Missverständnis macht Sinn, d.h. erzeugt Bedeutung.
Die kommunikative Offenheit deiner Bilder finde ich zärtlich und großzügig und nicht im PoMo-Sinne lapidar. Man kann ja nie alles gelesen haben.
Dann wieder das Aushebeln gewohnter Repräsentationslogik, wenn die Referenzen als nicht mehr Zuzuordnendes zum neuen Ausgangspunkt finden. Untitled (Line Circles) finde ich trotzig, aber v.a. humorvoll. Du hast den titelgebenden Stoff, den die Architekturfirma Coop Himmelb(l)au für Backhausen (ein Wiener Werkstätten assoziiertes, sehr prestige- und traditionsreiches Unternehmen in Niederösterreich) gemacht hat, photographiert, aber nicht bekommen. Als das Unternehmen schließen musste, beinahe zehn Jahre später, hast du ihn dann gemalt.
Schließlich war es auch ein Vorhang, mit dem Parrhasios seinen Konkurrenten Zeuxis im Malerwettstreit besiegte, der, als dieser ihn beiseite schieben wollte – Überraschung – feststellen musste, dass er nur gemalt war. Es ist der Vorhang, der den Ursprung der Malerei als ihre eigene Realität markiert, schließlich auch als Gewebe im autopoietischen Sinne.
Untitled (RH Compressed), das gemalte Stoffbild, das in der Etymologie des Textes auf den Bedeutungszusammenhang der Informationsvermittlung verweist und den Charakter des Werks als Text, der sich eben selber programmiert, als Kette von Übersetzungen, die zwangsweise Missverständnisse und Fehler mitproduzieren, die schön sind.
Dann sprichst du von Büchern, die du schon mehrmals gelesen hast, aber jetzt dann nochmal bestellt hast und wenn wir jetzt über Kybernetik sprechen, erwähnst du das Buch Nicht schon wieder...! von dem du, wie du sagst, immer versuchst, mindestens zwei zu haben.
Sophia Eisenhut
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